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Ein grauer Novembertag, draußen wie drinnen, hat Beijing heimgesucht. Das Wetter scheint zu ahnen, dass mir nicht sonnig zumute ist, denn mich beschäftigt seit Tagen ein neues Abenteuer, wenn man es so nennen mag, diesmal der nicht so positiven Art. Die chinesischen Bankautomaten scheinen sich nicht mit mir vertragen zu wollen, zumindest zeigen sie sich nicht gerade von ihrer offenherzigsten Seite. Die aus Deutschland mitgebrachten Yuan gehen zur Neige, und ich bastele an Lösungen, mein Konto voll mit lang gespartem Reisegeld anzuzapfen. Am Ende meiner Kreativität musste doch die Familie einspringen, und nach gescheiterten Telefonversuchen und hektischem Emailverkehr Geld zusenden, sodass meine Sorgen nun endlich begraben sind. Mich beschäftigt, wie abhängig wir in konsumorientierten Gesellschaften doch von Kapital sind, und wie selbstverständlich Mittel für einen Schlafplatz und Verpflegung im täglichen Leben scheinen. Diese kurze Zeit der Geldnot hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie privilegiert ich doch eigentlich bin, mir normalerweise keine Gedanken darüber machen zu müssen, wie ich meine nächste Mahlzeit finanzieren werde.
Um dem tristen Tag zu entfliehen, habe ich mich auf den Weg in den Osten der Stadt gemacht, viele Bushaltestellen mit ähnlich klingenden Namen gleiten an mir vorbei, ehe ich das Kunstviertel des urbanen Beijing erreiche. Qī-jiǔ-bā oder 798, ist ein Viertel von Industriegebäuden und Hallen, die lange leerstanden, bis sie von Kreativen Köpfen als Raum für Kunst erschlossen wurden. Ein riesiges Gelände, in dem sich Galerien verschiedenster moderner Künstler der Stadt aneinanderreihen, gerahmt von gemütlichen Cafés und Kramläden, dass mich mit den vielen Farben, die mir von Malereien entgegenlachen, schnell den grauen Himmel vergessen lässt. Unterschiedlichste Stile der Darstellung reihen sich Tür an Tür, manches traditioneller, manches abgehoben, hier kitschig und grell, dort fließende Farben und Harmonie. Großflächen-füllende Zeichnungen beeindrucken aus der Ferne, aus der Nähe betrachtet multipliziert sich der Eindruck, besteht jedes Bild doch nur aus einer fließenden Anordnung aus winzigen Punkten. Tritt man zu nah, ist das alles, was man sieht, viele farbige Punkte, jeder von ihnen einzigartig, und doch ergeben sie erst bei der Betrachtung von Weitem ein faszinierendes Gesamtbild.
Ich verliere mich in den Gassen des Künstlerviertels, bestaune Gemälde und Skulpturen, bis ich übersättigt von Eindrücken bin und wieder auftauche aus der Welt der Farben und Strukturen.
Den Sonntag verbringe ich mit chinesischen Freunden, und fühle mich für eine Zeit lang wie eine echte Bewohnerin dieser rasanten Stadt. Sydney, deren wirklichen Namen ich nicht aussprechen kann, hat mich zum Klettern mit Freunden eingeladen. Diesmal geht es also nicht auf die Große Mauer, sondern eine um einiges steiler und moderner konstruierte Wand hinauf. Die Capital Gym ist eine fußballfeldgroße Halle, in der sich Senioren und Studenten treffen, um zusammen aktiv zu werden, sei es beim Badminton, Squash, Fechten, oder Schlittschuhlaufen. Wir aber begeben uns zur Kletterwand, ausgerüstet mit zu engen Schuhen und einer Sicherung um die Hüften. Ich versuche mich zuerst im Bouldern, was soviel heißt wie Klettern ohne Seil, es kommt also eher weniger auf die Höhe als auf die Technik an, von der ich leider noch nicht allzu viel vorweisen kann. Neben einem kleinen Jungen, der keinerlei Angst vorm Fall zu haben scheint, und sich geschickt wie ein kleiner Affe die für ihn doch recht hohe Wand hocharbeitet, komme ich mir etwas ungelenk vor. Aber die benachbarte senkrecht in die Höhe ragende Wand weckt trotz allem meinen Ehrgeiz. Mit Gurt und Seil ausgestattet, tauche ich also meine Hände ins Weiß der Kreide und beginne meinen Weg nach oben. Die ersten paar Meter scheinen leicht überwindbar zu sein, noch ist der Boden in fast greifbarer Nähe. Nach kurzer Zeit erinnert mich mein Körper aber daran, wie lang es doch her ist, dass ich Sport gemacht habe, und wie wenig Muskelmasse in meinen Ärmchen steckt. In sechs Metern Höhe merke ich, wie angestrengt meine Arme sind, die versuchen meinen Körper an der Wand hochzuziehen, und ich verliere den Halt. Ich hänge buchstäblich in den Seilen, habe aber noch nicht vor, aufzugeben. Zurück an die Wand kämpfe ich mich weiter nach oben und realisiere, dass der Reiz dieses Sportes nicht im Triumpf über Andere, sondern im Besiegen von sich selbst besteht. Meine Arme beginnen zu zittern und mein Bein rutscht ab, aber nach einem letzten Meter habe ich es geschafft und blicke stolz aus vierzehn Metern Höhe auf die Halle hinunter. Der Höhepunkt ist erreicht, und auch mein Herzchen hüpft vor Freude über diesen schönen kleinen Erfolg in meinem persönlichen Abenteuer.
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Tim Tolle Geschichten, die mein chronisches Fernweh nicht gerade lindern. Wann bist du eigentlich wieder in Berlin? Dann statten wir dem magic mountain mal einen Besuch ab ;)