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Einen Monat hatte ich die Millionenstadt der Gegensätze als ein Zuhause auf Zeit, ein bittersüßer Abschied, als ich mein lieb gewonnenes Hostel zurücklasse, schnell noch mit einer Umarmung von der Managerin bedacht, ich lasse nur das Versprechen auf Wiederkehr und ein paar Schuhe, die zugunsten von Souvenirs weichen mussten, zurück. Auch ein Stück Unabhängigkeit muss verabschiedet werden, soll es doch nun als Teil einer Reisegruppe weitergehen, für eine Woche quer durchs Land. Ich merke, wie sehr ich mich mit dem Allein-reisen angefreundet habe und muss schmunzeln, wenn die Reiseleiterin auf Pünktlichkeit und „sicheres" Essen pocht. Ein wenig erinnert mich das Ganze an eine Art Klassenfahrt für Erwachsene, jetzt habt ihr zehn Minuten Zeit, Bilder zu machen, bitte folgt der lila Fahne, um nicht den Anschluss zu verlieren, ihr habt nun eine Stunde Zeit zu duschen, danach gehen wir gemeinsam essen. Glücklicherweise wurden aber größtenteils nette Menschen in dieser bunten Gruppe zusammengewürfelt, mit gelegentlichen Großstadtgören der weltfremden Sorte als Ausnahme.
Per Nachtzug soll es heute also nach Xi'an gehen, was soviel heißt wie der Frieden im Westen, mit überquellendem Koffer geht es zum Hauptbahnhof, wo uns das Abenteuer Schlafabteil erwartet. Zu sechst sind wir in den kleinen Abteilen untergebracht, in unserem Fall fünf schnatternde Mädchen aus Australien, Wales und Deutschland, und ein älterer Herr, der überraschenderweise nicht allzu glücklich über sein Los scheint. Langsam setzt sich die alt wirkende Bahn in Bewegung, während wir w***end versuchen, unsere Rucksäcke unter der Decke zu verstauen. Mein Schlafplatz befindet sich in zweieinhalb Metern Höhe, Kletterkünste sind gefragt, um sich in die Waagerechte begeben zu können. Nach einer Nudelsuppe aus der Dose und einem abenteuerlichen Besuch auf der Toilette, bzw. dem Loch im Boden des Zuges, werden die Reisenden pünktlich um 22uhr in Dunkelheit gehüllt. Es bleibt nur, das Dreistockbett zu erklimmen und sich sanft vom regelmäßigen Schunkeln des Zuges in den Schlaf wiegen zu lassen.
Nach einer unruhigen Nacht und zwölf Stunden Fahrt begrüßt uns die ehemalige Hauptstadt in der Mitte des Landes mit einer gekonnten Inszenierung von Grau in Kombination mit Dunkelgrau, der erste Regen seit meiner Ankunft prasselt auf mich herab. Nach einer heißen Dusche und den für die Region typischen Pancakes sieht die Welt dann aber doch wieder besser aus, und wir machen uns in Kapuzen gehüllt und unter Schirme gekauert auf den Weg ins alte muslimische Viertel. Zwischen Baklawa und leuchtenden Schriftzeichen schlängeln wir uns unseren Weg in einen Hinterhof, der einst zum Haus eines hochrangigen Palastangestellten gehörte. Hinter einer unscheinbaren Tür erwartet uns eine kleine Teezeremonie, eingerollte Jasminblätter und Litchischwarztee hüllen uns in ihren Duft, die heißen Getränke die Schönheit und Gesundheit beschwören, wärmen unsere durchfrorenen Finger. Ein Stückchen weiter werden wir in einem Atelier in die chinesische Malkunst eingeführt, angestrengt versuchen wir, unsere Kunstwerke wie die der Lehrerin aussehen zu lassen, was nur teils gelingt. Schwarze Tinte zaubert die Umrisse einer ländlichen Szene auf das Papier, später tupft der nasse Pinsel neue Effekte und Farben hinzu. Wie in chinesischer Kunst üblich, wird der Titel des Bildes in Kalligraphie Schrift Teil des Kunstwerkes selbst, schließlich vervollständigt der Name des Künstlers und sein Stempel das Bild. Zurück im Regen schlendern wir fröstelnd an unzähligen Ständen von Antikhändlern vorbei, bis die Sachen durchnässt sind und der Magen ein flaues Gefühl vermerken lässt. Wir kehren in ein Restaurant ein, das unsere Reiseleiterin uns empfohlen hatte, um dort mit nonverbaler Kommunikation die berühmten „Gürtelnudeln" zu bestellen, wobei mein Chinesisch durchaus behilflich ist, was mich wiederum stolz macht. Nach zwei Nudeln ist der Bauch dann auch gut gefüllt, da diese Spezialität in ihrer Länge und Breite tatsächlich einem Gürtel entspricht. Glücklich und satt geht es zurück ins Hotel, wo unsere warmen Bettchen auf uns warten.
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