Profile
Blog
Photos
Videos
Mit einem Kaffee und einer Zeitung bewaffnet sitze ich im Hochgeschwindigkeitszug, der unsere fröhlich schnatternde und -dank aller denkbaren Vertreter im Haarfarbenspektrum- aufsehenerregende Reisegruppe in wenigen Minuten von Suzhou nach Shanghai schweben lässt.
Das Taxi düst an allen erdenklichen Formen und Farben von Hochhäusern vorbei, alles scheint möglich in dieser Hochburg des Fortschritts, trotz grauem Himmel scheinen die Fassaden zu glänzen. Eine junge Chinesin mit Kopftuch serviert uns Helal Speisen zum Mittag, zaghafte Weihnachtsdekorationen verstecken sich in bestimmten Ecken, hier ist einer der wenigen Orte im Land des Konfuzius und Buddha, wo auch Allah und Jesus ihren bescheidenen Platz gefunden haben. Der Huángpǔ Fluss spiegelt die Vergangenheit ebenso wie die Zukunft der Stadt, am Ufer des Bund reiht sich europäische Architektur aneinander, die an Zeiten der Besetzung erinnert, auf der anderen Seite des Wassers, in Pudong, ragt die atemberaubende Skyline futuristischer Wolkenkratzerbauten in die Höhe. Stylische junge Bewohner der Metropole schlendern lässig am Ufer entlang, vorbei an zeitgezeichneten Herren, die ins Tai Chi und die ein oder andere Mahjong Partie vertieft sind. Die Nanjing Dong Lu, „östliche Straße der südlichen Hauptstadt", wird ihrem Ruf als zentraler Treffpunkt der Konsumliebenden mehr als gerecht mit farbenprächtiger Leuchtreklame, Läden für alle erdenklichen Kleidungsstile und jeglichen kulinarischen Vertretungen der Kontinente.
Um den abendlichen Hunger zu stillen, werden wir in die Welt des „hotpot" eingeführt, eine bezaubernde wie auch heiße lokale Spezialität, bei der eine Kochplatte in den Tisch integriert ist, und jeder eine sprudelnde Suppe vor sich hat. Alles, was das hungrige Herz begehrt, landet im kochenden Wasser, sei es Kohl, Ente oder Nudeln, die wir anschließend, mit unserer eher mäßigen Fähigkeit zur geschickten Handhabung von Essstäbchen, wieder herausfischen und mit einer der farbintensiven Soßen kombinieren.
Aufgewärmt und ein klitzekleines Bisschen zu satt sitzen wir später gespannt in einer Arena, in der von einem kleinen Ensemble schwindelerregende Akrobatik vorgeführt wird. Saltos und Flickflacks markieren den Auftakt zu einer Show der Superlative, regelmäßig geht ein Raunen durch das Publikum. Ein stämmiger Mann balanciert einen Porzellantopf auf seinem Kopf, von der Decke schweben anmutige Schlangenfrauen, die Akrobaten formen leichtfüßig unglaublich hohe Menschenpyramiden. Eine Art Wippe wird aufgebaut, und Menschen werden hoch in die Lüfte katapultiert, um dann gekonnt elegant auf den Schultern vom obersten Glied eines fünfteiligen Turms aus Körpern zu landen. Im Dunkeln lassen sie Lichter tanzen und balancieren schwirrende Teller auf Stäben, ein Mann stapelt mehr und mehr Porzellan auf seinem Kopf. Ein riesiges stählernes Laufrad bringt Akteure und Zuschauer ins Schwitzen, geschickte Feuerjongleure jagen orange Flammen durch die Luft. Elegante Turnerinnen verbiegen ihre Körper in absurde Positionen, ihr Schatten tut es ihnen gleich. Übergroße Trampoline befördern durchtrainierte Körper in die Lüfte und ein Hochseilakt lässt den Saal erstaunt den Atem anhalten. Höhepunkt des Spektakels ist ein kugelförmiger Stahlkäfig, in dem ein Motoradfahrer im Kreis umhersaust, und der -mit freundlicher Unterstützung der Fliehkraft- bei seinen 360-Grad Umkreisungen die Schwerkraft für einige Millisekunden besiegt. Mehr und mehr seiner Kollegen leisten ihm bei dem halsbrecherischen Stunt Gesellschaft, bis schließlich unglaubliche sieben Motoräder laut hupend im Kugelkäfig ihr Leben riskieren, die penibel einstudierte Choreographie ist das einzige, was sie vor einem folgeträchtigen Zusammenstoß bewahrt.
Nach einem langen Tag geht die ereignisreiche Tour von Beijing über Xi'an und Suzhou nach Shanghai zu Ende und findet ihren feucht-fröhlichen Abschluss in einem nächtlichen Karaoke Kuriosum. Zurückhaltend startet unsere Reisegruppe in den Abend, ein paar gute alte Klassiker a la „Barbie Girl" werden geträllert, nach kürzester Zeit jedoch verwandelt eine mysteriöse klare Flüssigkeit den Gesang in Gegröle, wir liegen uns in den Armen und feiern den Geburtstag der Reiseleiterin, bis wir hinaus geworfen werden.
- comments