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Ich sitze auf der Urwald-gleichen Dachterrasse des Shanghai Phoenix Hostels und genieße -für dezemberliche Verhältnisse doch recht leicht bekleidet- die sanften Sonnenstrahlen, die auf mich, meinen Kaffee und mein Doppeldecker Sandwich scheinen, während ich über mein skurriles Gestern schmunzeln muss:
Spät aus den Federn gerollt und mit einer Nudelsuppe im Bauch mache ich mich heute auf in die frühere französische Konzession, ein Viertel, das laut Reiseführer an die Jahre zurückliegende Besetzungszeit der Stadt erinnert. Vorbei am üblichen morgendlichen Wuseln der Straßen, Open-Air Kochen, Kinder die auf schrill hupenden Rollern durch die lauten Gassen transportiert werden, Pudel mit formgeschneiderten Outfits, laufe ich bis in den Stadtteil, der von den typischen Steintorhäusern geprägt ist. Hinter einer der Fassaden verbirgt sich ein geschichtsträchtiger wie auch gegenwartsrelevanter Ort: die Gründungsstätte der Kommunistischen Partei Chinas (China Communist Party-CCP). Ich bilde mir ein, argwöhnische Blicke zu spüren, während ich die flughafenähnliche Sicherheitskontrolle passiere und mit gemischten Gefühlen die prachtvoll eingerichtete Museumsstätte betrachte. Geschwollene Texte erzählen vom heroischen Kampf Chinas gegen den Kapitalismus, von britischen Fesseln und der Verehrung des Marxismus, und der Geburtsstunde des heilbringenden Kommunismus als Regierungsform. Erschreckend echt wirkende Wachsfiguren zeigen den jungen Mao Zedong im Kreise der restlichen Gründungsmitglieder, übertönt von einem hitzig exklamierenden Reiseführer, still bewacht von blinkenden Kameras. Ich muss mir bei der Lautstärke des passionieren Redners, der die Unterstützung seines Mikrofons nicht bräuchte, die Ohren zuhalten, und ernte dafür einen misstrauischen Blick vom uniformierten Wachmann. Er scheint aber kurz später zu dem Schluss zu kommen, dass meine Sprachkenntnisse gar nicht ausreichend sein können, um mich als kritische Geste über den Inhalt des Gesagten meine Augenbrauen hochziehen zu lassen, und diesem Fall bin ich froh, dass ich tatsächlich nicht verstehe, was der begeisterten Reisegruppe als Wahrheit präsentiert wird. Als ich aus dem Haus heraustrete, finde ich mich plötzlich inmitten von einem grünen Meer aus Uniformen und akkurater Aufstellung von Staatsdienern wieder, und suche verblüfft das Weite, froh darüber, dass ich meinen Museumsbesuch nicht zusammen mit den in Reih und Glied laufenden Uniformierten absolvieren musste.
Mein Spaziergang (ent-)führt mich einige Ecken weiter in eine andere Welt, wie es scheint, oder korrekter gesagt auf einen anderen Kontinent: im Herzen der französischen Konzession prägen Palmen und pastellfarbene Häuser das Stadtbild, ein unwillkürlicher Hauch von Romantik wird von den Bauten im europäischen Baustil und mit eleganten Inschriften versprüht. Wenige Meter weiter ist eine grüne Oase Bühne eines skurril scheinenden Schauspiels: Wie üblich treffen sich alte Herren, um Karten zu spielen, Singen zu üben oder über das Leben zu plaudern, nur sind sie hier von einem französischen Rosengarten umgeben, und eine steinerne Marx-Engels-Statue wacht über alles.
Beim weiteren Bummel im Viertel Xintiandi finde ich ihn dann, meinen Lieblingsort in Shanghai. Kleine Gassen entführen in eine zauberhaft vollgestopfte Welt der Kreativität, Internationalität und Absurdität. Unzählige Menschen verlieren sich zwischen den Geschäften und Cafés, Schaufensterpuppen tragen Pferdeköpfe, goldene Toiletten dienen als Stühle, Snacks aller Geschmacksrichtungen und Farben betören die Sinne, liebevolles Graffiti ziert die Wände, kuriose Geschäftsideen kräuseln meinen Mund zu einem Lächeln. Ein buntes Treiben voller bizarrer Menschen und Gerüche, in einem Laden kann man eine Postkarte in die Zukunft schicken, in einer Bar gibt es Glühwein gegen chinesische Kälte, in einem Restaurant gibt es Riesen-Teddys als Sitzpartner.
Die Dunkelheit hat sich über die Straßen gelegt, und meine müden Füße machen Halt vor einer Glastür, hinter der sich die schummrig beleuchtete Welt des Vienna Café verbirgt. Ein Auswanderer aus Österreich hat seine Heimat mit nach Shanghai gebracht: Weihnachtsdekorationen und fette Torten schmücken die Theke, ein Hauch von Wiener Spießigkeit erfüllt den Raum, den die junge chinesische Kellnerin aber mehr als wieder wett macht. Wer hierher eine deutschsprachige Zeitschrift mitbringt, erhält einen Kaffee gratis, heißt der Insider Tip, und so trenne ich mich schweren Herzens von meiner ‚Zeit Wissen' und schlürfe genüsslich das schwarze Gold. Ich kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen, wie ich zwischen Sachertorte und chinesischer Getränkekarte sitze und dem Sänger aus den Boxen lausche, der singt von seiner „Euphorie: monchmoal denk I nua an Di!"
Um die absurde multikulti Herrlichkeit dieses Tages zu vollenden, schwelge ich am Abend in Erinnerungen an den Festival-Sommer in Lettland, wo ich im Sonnenschein die feinen Indie-Sounds Skandinaviens genossen hatte, eine der Bands aus Dänemark gibt sich heute in der Untergrundszene Shanghais die Ehre: „Efterklang". Umschlossen von Hochhäusern und beschallt vom monotonen Presslufthammer nächtlicher Baustellen breitet sich ein dunkler Park aus, den man über eine unscheinbare kleine Seitengasse erreicht, weit weg vom touristischen Treiben des Stadtkerns. Im dürftigen Licht beobachten mich geheimnisvoll wirkende Skulpturen, die in diesem Künstlerviertel ihr Zuhause gefunden haben, auf meinem Weg in den kleinen Club, der vollgestopft mit Auswanderern und hippen Einheimischen ist. Im weißen Rauch und bunten Lichtern mischen sich die wohltuenden Synthesizer Klänge und sphärische Gesänge mit Kaleidoskop-artigen Bildern von Sternen und Farben. Ein Lächeln lässt den Schnurrbart des Gitarristen wippen, Marshmallows werden ans Publikum verteilt, und ich versinke in den Tönen der Dänen, die heute Nacht Shanghai zum Tanzen bringen.
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Kathi juhuuuu Österreich in Shanghai!! ;)