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Nach England kommen ist wie nach Hause kommen. Ich hab ja leider nicht lange hier gelebt, es war ja nicht mehr als 2x etwa ein Dreivierteljahr, aber vieles ist trotzdem so vertraut: der höfliche Umgang miteinander, der Linksverkehr, die Ladenketten, die Art, wie die Dinge hier laufen (immer schön Schlange stehen, wer drängelt gilt als rüpelhafter Touri) und in London ist natürlich auch sonst sehr viel schon sehr vertraut. Das macht das Ankommen so leicht und schön und ich frage mich gerade, warum ich mein geliebtes Südwestengland so lange allein gelassen habe. Ich war 2011 zuletzt dort. Das ist quasi im letzten Leben gewesen, einem Leben vor dem Arbeitsleben, einem Leben, in dem so viel noch so andere war als heute, manches war besser, manches war schlechter, jedenfalls war es sehr anders. Ich glaube, ich werde der Vergangenheits-Svenja dieser Tage noch häufiger begegnen und alte Vorlieben, Ziele, Ansichten, Hoffnungen und Ängste mit meinem aktuellen Leben vergleichen. Das wird sicher spannend, ich kenne aber jetzt auch schon einige Themen, die eher schmerzhaft als schön sind. Aber zum Singlereisen gehört die Beschäftigung mit sich selbst eben fest dazu. Unterwegs kommen neue Impulse und man steckt nicht im Alltagstrott. Da ist Zeit und Luft für die Gedanken.
Der Standby-Flug hat prima geklappt. Am Check-In bekam ich einen Boardingpass ohne Sitzplatz und mein Koffer einen Extra-Anhänger mit dem Aufdruck Standby. Damit der erst eingeladen wird, wenn klar ist, dass ich auch wirklich einsteige. Am Gate bekam ich dann meinen festen Platz. Netterweise werden wir Standbyflieger wohl gern an die Notausgänge gesetzt, auf der gegenüberliegenden Seite von mir saß zumindest ein Pilot, der recht gelangweilt die Extraeinweisung über sich ergehen ließ :-D vielleicht erwartet man von uns mehr Interesse daran, dass das Flugzeug nicht für eine schlechte Evakuierung in die Schlagzeilen gerät? So hatte ich jedenfalls das Vergnügen, mehr Beinfreiheit zu haben und innerlich laut über meine Nachbarn zu lachen, die die strengeren Regeln aufgrund dieser Sitzreihe so gar nicht einhalten wollten und von den zunehmend genervten Stewardessen immer wieder zurecht gewiesen wurden. Das waren wohl so genannte Vollzahler, also ganz normale Fluggäste.
Ach ja, ein bisschen Fachvokabular und Stolz auf „unsere“ Flugzeuge hat im letzten Dreivierteljahr bei der LHT schon auf mich abgefärbt ;-) Und dass ich nun einfach von neben meinem Büro in den Urlaub starte und der Taxifahrer 1:1 meinen Arbeitsweg abfährt? Times are changing und die Wunden von der kurzen Alptraumstation davor verheilen mit der Zeit mehr und mehr. Das ist gut.
Ich hab mir für London diesmal gar keine Pläne gemacht. Ich kenne die Stadt inzwischen gut genug, um keine Fotostopps abarbeiten zu müssen und genieße es, mich, wie schon in Berlin, einfach treiben lassen zu können und in die Stadt einzutauchen. Mein Game Changer dabei: Mieträder. Schnell, überall verfügbar, flexibler als die Tube, man bewegt sich sogar etwas und günstiger ist es obendrein und man ist gefühlt mittendrin im Leben.
Heute war ich erst an der King‘s Cross Station und dann am Tate Modern. Ich gebe Dingen ja immer mal wieder neue Chancen, so auch einem Besuch im Kunstmuseum. Fazit: ist immer noch nichts, was mich wirklich begeistert. Aber sie haben gemütliche Stühle, auf denen man in die Daunenjacke gemummelt, Hörbuch auf den Ohren und fest an den Rucksack gekuschelt gut eine Stunde dösen kann, wenn die 3,5 Stunden im Bett einfach nicht genügend Energie für den ganzen Tag geliefert haben :-D Auch dafür liebe ich London: es ist so nah dran, nichts hier MUSS ich unbedingt diesen Besuch erleben. Alles hat Zeit. Oder ist es das Alter, dass mich ruhiger reisen lässt?
Wie dem auch sein. Mein Plan für heute? Gute Frage. Ich sitze noch beim Frühstück, hab meine Sachen für morgen schon sortiert, damit das Einpacken morgen früh schnell geht, denn mein Mietwagen wartet in Heathrow ab 10:00 am auf mich, und werde gleich mal gucken, wohin es mich treibt. Vielleicht mal ein paar Filmlocations von Harry Potter aufsuchen? Dass Grimmauld Place 12 gestern nur 500 Meter von meinem Restaurant entfernt war, war Zufall, aber brachte mich auf die Idee, vielleicht in dieser Richtung noch weiter zu gucken. Eigentlich möchte ich gern mal in den Skygarden. Aber Tickets sind seit Wochen nicht verfügbar übers Internet. Vielleicht fahre ich einfach mal hin. Und evtl. will ich heute Abend ins Theater oder Musical. Mal sehen. Ihr seht, völlig planlos bin ich also nicht. Aber es ist auch längst nicht mehr so wie 2003 mit meiner damals besten Freundin, wo die 4/5 Tage so voll gestopft waren, dass wir irgendwann gar nicht mehr wussten, wie wir laufen sollen vor platten Füßen :-D Schöne Erinnerungen an diese Zeit. Sie hat inzwischen längst eine Familie mit zwei Kindern und lebt mit ihrem britischen Mann bei Manchester. Und ich? Ich zirkel weiterhin allein um die Welt, immer noch auf die Liebe hoffend, die irgendwie vor mehr als 12 Jahren vergessen hat, dass ich auch noch da bin… manches war besser allein, sehr viel war sehr viel schwieriger allein. Die Jahre haben mich an meinen Herausforderungen wachsen lassen und aktuell lerne ich mühevoll, wie es ist, dann auch noch keine Familie mehr zu haben. Wenn du hart ausgegrenzt wirst, ist es besser, irgendwann aufzuhören, darauf zu hoffen, dass deine engste Verwandtschaft irgendwann ihre Fehler bemerkt, sich entschuldigt und wieder einbezieht. Es gibt Menschen mit Charakterzügen, da ist Selbstreflexion einfach nicht möglich. Auch das muss man als sehr reflektierter Mensch irgendwann einsehen. Auch wenn es hart ist, wenn die eigene Familie einen so behandelt als sei man tot, für sie existiere ich nämlich offensichtlich gar nicht mehr.
So, jetzt ist auch das raus. Warum ich das hier so offen kommuniziere? Weil es Teil meines Lebens ist und sicher auch Teil meiner Reise sein wird. Und weil mir offene Worte gut tun.
Nun aber auf auf, London erwartet mich! Genießt das sommerliche Wetter zuhause und schickt mir mal ein bisschen was davon rüber: 7 Grad, Regen :-D
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