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In Harar mit Helga, Hannelore ind Hyänen
In Äthiopien trifft man keine Anfänger. Sprich, wer dieses Land bereist, hat bereits zahlreiche Reiseerfahrungen in aussereuropäischen Ländern gesammelt, wahrscheinlich in Asien oder in anderen afrikanischen Ländern. So habe ich von Ländern als Reiseziele gehört, die ich mir bisher nicht unbedingt als solche vorgestellt habe: Madagaska, Burkina Faso, Kongo oder irgendwelche völlig abgelegene Teile von Indonesien. Dann gibt es noch die Leute, die in Äthiopien arbeiten als Freiwillige oder bei einem Entwicklungshilfeprojekt. Die kennen sich alle aus und wissen wie der afrikanische Hase läuft. Ich bin hier ein nur relativ kleiner Fisch im Traveller-Teich.
Zum Beispiel: Hannelore (70) aus Limburg hat es in ihrem Reiseleben bis jetzt auf ca. 110 Länder gebracht. An diesem Morgen, während ich gerade im Bus auf dem Weg zurück nach Addis sitze, ist sie unterwegs nach Somaliland. Ein Reiseziel, von dem unser gutes Auswärtiges Amt derzeit auch eher abrät. Aber wer sich mit Strassenkindern in Addis anfreundet, zum Leidwesen der Polizisten, wer Westafrika und Halbasien schon unsicher gemacht hat, im Iran schon dänisches Bier getrunken hat, den werden auch die Leute in diesem entlegenen Winkel der Welt sicherlich in Ruhe lassen, wenn sie vernünftig sind. Ausserdem ist sie nicht alleine. Zur Zeit, aber wirklich nur vorübergehend wie sie mir versichert hat, reist sie zusammen mit Helga (68) aus Bayern. Helga zeichnet sich ebenfalls durch umfangreiche Reiseerfahrung aus. Sieben mal Indien, dreimal Tibet, Bhutan, Indonesien, Entwicklungshelferin in Tunesien vor Ewigkeiten, Südamerika und die Backpacker Hostels in Australien kennt sie auch.
Getroffen habe ich Hannelore schon in der Rezeption des Taitu Hotels in Addis und dann sie und Helga morgens um 5:30 auf dem Meskal Square als wir alle im Gewühl den Bus nach Harar gesucht haben. Alle „faranji" im Bus waren Deutsche, wir drei und ein Herr Mitte 60 im Jacket und aus München. Da tut man sich doch zusammen bzw. ich habe mich den Damen angeschlossen. Nach der Ankunft in Harar, neun Stunden später, sind wir gemeinsam auf die Suche nach einer Unterkunft in der Altstadt gegangen.
Im Nachhinein betrachtet bin ich mir nicht so sicher, ob das eine glückliche Entscheidung war. Die Beiden waren anstrengend. Anstrengend. Besonders im Doppelpack, aber auch eine einzelne Dosis hat mich über die dreieinhalb Tage in zunehmendem Masse genervt. Wirklich genervt. Nunja, es kann natülich von Vorteil sein, wenn man selber keine Lust zum Reden haben sollte, in der Gesellschaft zweier so redseliger Damen zu sein. Dumm war nur, dass die Damen sich sowohl inhaltlich als auch von der Lautstärke her, ständig versucht haben, sich zu übertrumpfen. Die eine hatte mehr Recht, die andere mehr Erfahrung. Die eine hielt sich für jünger aussehend (okay, dies hat sie mir nur im Vetrauen gesagt), die andere hatte es geschafft, wirklich alle Museen und Kirchen in Harar zu besichtigen. Mir hat eines gereicht. Die eine hat den Scheich Abadir kennengelernt und fotografieren dürfen, was äusserst unüblich ist, die andere hat den katholischen Priester und den Chefarzt des Krankenhauses kennengelernt. Die eine hat eine Frau fotograferen dürfen, die gerade ihr Kind stillt, die andere hat ihren persönlichen Freund, Jamal, gehabt, der sie unentgeldlich durch die Stadt geführt hat. „Stell dir vor, was ICH heute alles erlebt habe!", „Das darf sonst kein Tourist!", „Der Scheich ist ein richtiges Schnuckelchen. Erst 25 Jahre alt.", „Man hat mich ja gewarnt. Aber ich habe mir Flohstiche in den Kirchen geholt!", „Und Jamal hat sogar die Cola bezahlt und ich durfte ihm kein Geld geben!". Und so weiter, und so weiter.
Auch sollte man meinen, dass jemand, der jahrelang und auf langen Reisen um die Welt unterwegs gewesen ist, sich eine gewisse Gelassenheit bei alltäglichen Unzulänglichkeiten angeeignet hat. Naja, vielleicht muss es dazu gehören, sich über zu hohe Preise aufzuregen, über Taxifahrer, die kein Englisch können und über Guides, die versuchen, einen über's Ohr zu hauen. Natürlich soll man sich nicht über's Ohr hauen lassen, aber warum sich über den Versuch aufregen? Und, jemand, der in einem Land wie Äthiopien, wo eine durchgehende Versorgung mit fliessendem Wasser und Strom schon fast die Ausnahme ist, eine elektrische Zahnbürste mitnimmt, kann ich nicht so richtig ernstnehmen.
Doch kommen wir zum Wesentlichen: Harar. Liegt im Osten des Landes, ist stark muslimisch geprägt und damit ganz anders als der Rest Äthiopiens. In der Alttadt, die Weltkulturerbe ist, gibt es zahlreiche Moscheen und vor den Mauer und Toren der Stadt gibt es fast so zahlreiche Märkte. Den Viehmarkt, den für Recyclingware, den Gewürz-, Chat-, Stoff- und den Obstmarkt. In den engen Strassen sitzen die Frauen im Schatten der niedrigen Häuser und verkaufen kleine Mengen Brot, Bananen, Knoblauch oder Kartoffeln. Und alles bunt, bunt, bunt und lebhaft. Knallbunte Röcke und Umhänge, Kopftücher und T-Shirts. Die Schulmädchen tragen sonnengelbe Kopftücher und Jacken als Schuluniform. Auch die Häuser sind zum Teil und in kräftigen Farben angemalt: Flaschengrün, tief Türkis, Blau, Lila und Rosa. Dazwischen tummeln sich Esel, die Brennholz oder Zuckerrohr transportieren und Ziegen, die einfach nur so unterwegs sind. In der Luft tummeln sich Bussarde und im der Nacht treiben sich Hyänen in der Stadt herum.
Die Hyänen sind einer der Attraktionen in Harar. Vor vielen Jahren hat dort jemand angefangen, die Hyänen zu füttern, damit sie nicht die Tiere der Bauern anfallen. Daraus ist ein abendliches Ritual geworden, zu dem nun nicht nur Hyänen, sondern auch die Touristen kommen. An zwei Stellen vor den Altstadttoren wird gefüttert, zuzusehen kostet 100 Birr (4 Euro) und man kann die Hyänen auch selber füttern. Haben Helga und Hannelore natürlich gemacht. Bisher hatte ich Hyänen als eher unansehnliche und aggressive Tiere abgespeichert. Die ortsansaessigen jedoch sahen schon fast lieb und recht gepflegt aus. Sicherlich gut genährt und an die Gesellschaft von Menschen gewöhnt, tragen sie wohl untereinader trotzdem Kämpfe aus, was man an so einigen bösen und auch aktuellen Wunden sehen konnte. Das ganzen Spektakel dauerte ungefähr eine halbe Stunde und meine beiden Begleiterinnen waren sehr stolz auf sich, dass sich getraut haben, die Tiere zu füttern.
Meine drei Tage in Harar habe ich hauptsächlich damit verbracht, durch die Stadt zu streifen, auf Entdeckungsreise zu gehen durch die engen Gaesschen und bunten Märkte. Die Kinder waren lustig hier. Obwohl sich ihr englisches Vokabular auf „money", „pen/pencil" und „book" beschränkte, wollten viele auch einfach fotografiert werden, ohne Geld. Auch der Mann mit den Resten einer geschlachteten Ziege (Fell und Kopf, am Stück), hätte gerne ein Foto von sich gemacht bekommen. Einmal bin ich in die Flugbahn eines Bussards geraten, dass heisst er ist gegen meinen Kopf geflogen, von hinten, und dann weiter. Nein, nein. Das war bestimmt keine Absicht, dem Mann hinter mir ist genau das gleiche passiert. Bussarde sind nämlich die eigentlichen Hyänen in den Städten. Überall, wo es etwas abzustauben gibt, sitzen sie auf den Dächern oder fliegen wild durcheinander durch die Luft. Beindruckend zu beachten, wenn sie einen nicht gerade umfliegen wollen.
An einem Tag bin ich mit Hannelore und ihrem Jamal mitgegangen. Zuerst haben wir den Viehmarkt besucht, wo das meiste Geschäft des Tages allerdings bereits erledigt schien. Vereinzelt standen auf dem staubigen Areal noch einige Zeburinder und vereinzelte Ziegen herum. Es gab einen kurzen Zwischenfall, weil sich plötzlich einer der Männer dort zum obersten Marktaufseher aufgeschwungen hatte und spontan von Hannelore und mir lautstark Geld haben wollte für die Fotos, die wir gemacht haben. Doch Jamal hat sich natürlich darum gekümmert und die Sache ruhig und ohne allzu grosse Mühe beigelegt. Unbestritten, manchmal ist es schon günstig jemand Einheimisches dabei zu haben. Jamal, der nicht als Guide arbeitet, ist bei Gericht als Registrator angestellt und gehört damit sicherlich schon zur äthiopischen Mittelschicht. Er erzählte, er besitze ein Auto und möchte demnächst ein Haus bauen. Momentan wohnt er mit seiner Frau in einem kleinen Haus in der Altstadt, das er gemietet hat.
Als es über Mittag zu heiss wurde, hat er uns mit dorthin genommen und wir haben uns ein paar Stunden dort aufgehalten. Seine Frau hat Spaghetti mit Bolonaise gekocht und wir haben beim Essen Fernsehen geguckt. Das Haus bestand aus einem kleinen Hof von vielleicht 10 Quadratmetern, in dem fünf Ziegen und ein Huhn gehalten wurden, einer Kochnische draussen, einem Loch im Boden als Toilette um die Ecke und einem grossen Raum, der als Wohn- und Schlafzimmer genutzt wurde. Mit Teppichen und Kissen ausgelegt und über zwei grosse Stufen verteilt kann man dort sitzen bzw. liegen. Nach dem Mittagessen haben wir Jamal bei Chat-Kauen zugesehen. Chat sind Blätter, ähnlich wie Cocablätter, die gekaut werden und dabei eine mehr oder weniger stimulierende Wirkung haben sollen. Im östlichen Äthiopien, wo Chat auch angebaut wird, ist es ein tägliches Ritual der Männer nachmittags stundenlang zusammen zu sitzen und Chat zu kauen.
Am Nachmittag haben wir uns ein tradtionelles Haus angesehen, das ähnlich aufgebaut ist wie Jamals Haus mit einem Hauptraum in Stufen angelegt und daran angrenzenden Schlafräumen. Die Wände sind besonders geschmückt mit gepflochtenen Körben und Holzschalen.
Gestern ging es dann für mich zum letzten Mal zurück nach Addis. Der Bus fuhr erst spät los, um 7:30 Uhr und somit konnte ich Harar noch einmal im Hellen sehen. Mit mir im Bus unterwegs waren drei der sechs Israelis, die ich bereits von der Danakil-Tour kannte. So klein ist die Reisewelt. Vielleicht treffe ich sie sogar in ein paar Wochen in Uganda wieder, was unser aller nächstes Ziel ist. Jetzt gerade sitze ich im Taitu-Hotel in Addis, wo wieder einmal das Internet nicht funktioniert und Strom aktuell nur durch einen Generator erzeugt wird. Äthiopien hat momentan grosse Engpässe bei der Strom- und Wasserversorgung. Benzin und Zucker sind ebenfalls knapp. Gestern habe ich an einer Tankstelle ausserhalb von Harar eine sehr lange Schlange gesehen. Das waren bestimmt 100 Autos. Irgendwas sitzt quer im Land, aber keiner kann genau sagen, was. Vielleicht hat das schon mit den Wahlen zu tun, die im Mai anstehen. Das ist nicht gut.
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