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Viel zu schnell war nun auch schon mein Abreisetag gekommen, aber der Vormittag blieb mir noch, bevor ich gegen 14 Uhr in den Flughafenbus steigen musste. Ich dachte darüber nach, es noch einmal mit dem Mont Royal zu versuchen, war aber unsicher, weil ich ja immer noch nicht den Zeitbedarf abschätzen konnte und das einzige, was nun ganz sicher nicht passieren durfte, war, dass ich meinen Heimflug verpasse. Von meinem Hotelzimmer aus konnte ich durch die Häuser hindurch genau das Kreuz auf dem Mont Royal sehen. Heute war das Wetter etwas neblig, aber immerhin ohne Regen. Noch während ich einen Müsliriegel und einen Instantkaffee frühstückte, zog der Nebel tiefer und tiefer und ließ das Kreuz verschwinden. Na gut, wenn man nicht mehr hinauf sehen kann, kann man dort auch nicht hinunter sehen, damit war der Plan zur Bergexpedition endgültig gestorben. Aber ist das nicht ein schöner Grund, eines Tages mal wieder nach Montreal zu kommen?
Nachdem der Koffer gepackt, das Zimmer geräumt und das Gepäck in der Waschküche (!) deponiert war, zog ich noch einmal los. Zuerst wollte ich mal schauen, wo genau die Haltestelle vom Flughafenbus ist, sie sollte gleich schräg gegenüber des Hotels sein. Dort wo sie auf dem großen Plan, der in der U-Bahn-Station hing, eingezeichnet war, war auch ein größeres Bus-Depot mit zahlreichen Garagen, das sich beim näheren Hinsehen aber als verlassen herausstellte. Alle Türen verschlossen, alle Fenster verklebt und weit und breit keine Menschenseele. Die Dame an der Rezeption des Hotels wusste, dass ein paar Meter weiter die Straße runter ein neues Busterminal gebaut wird, aber wo genau im Moment die Haltestelle für den Flughafenbus war, das wusste sie auch nicht. Das, was das neue Terminal werden sollte, war ein Rohbau. Immerhin gab ein verblasster Hinweis auf einen (nun verschlossenen) „Durchgang" im alten Depot Hoffnung, dass sich die Haltestelle in der Parallelstraße befinden könnte. Bis zur nächsten Querstraße war es ein kleines Stück und ich war jetzt sehr froh, dass ich rein sicherheitshalber schon mal nach der Haltestelle schauen wollte und nicht nachher mit meinem Rollköfferchen unter Zeitdruck herumrennen muss. Und tatsächlich wurde ich in der Parallelstraße fündig, was von hinten noch wie ein Rohbau aussah, war von vorne schon bezogen. Und die Dame an der Rezeption hatte nicht übertrieben, als sie das Ganze als „Terminal" bezeichnete. Mein lieber Schwan, von wegen „Haltestelle", das sah ja aus wie am Flughafen. In der Wartehalle gab es Läden und Cafés und große elektronische Anzeigetafeln. Und vor den einzelnen Parkbuchten der Busse, die innen im Gebäude waren, mit Verbindung zu einer riesigen Garage, waren große Glastüren, die nur öffneten, wenn ein Bus vorfuhr. Hier starteten die Überlandbusse in alle größeren kanadischen Städte und auch in die USA (Boston war gerade angeschrieben), ein Hauch von großer weiter Welt.
Auf einem kleinen Umweg ging ich zur Metrostation, um noch ein bisschen vom Viertel zu sehen. Dabei kam ich hauptsächlich durch Wohnstraßen und auch hier standen diese niedlichen kleinen bunten Häuser (in langer Reihe, eins ans andere gebaut), die interessanterweise die Haustür (oder eine zweite Haustür) im ersten Stock haben und eine Stahltreppe, die hinauf führt. Schon im Reiseführer hatte ich Bilder von farbenfrohen Stahltreppen-Häusern gesehen und hoffte, dass ich auch mal in das Viertel komme, wo die stehen. Aber von wegen Viertel, die stehen hier einfach überall und es scheint ganz einfach die gängige Bauweise für Einfamilienhäuser zu sein.
Ich bin dann mit der U-Bahn auf die Ile Ste. Helene gefahren, nur eine Station von mir. Die kleine Insel im St. Laurent-Strom war meine Hoffnung, wenigstens eine Schmalspur-Version vom Skylineblick zu bekommen, der mir auf dem Mont Royal nun entging. Dort den U-Bahnhof (ein hübsches Backsteingebäude) verlassen, war ich in einer anderen Welt angekommen. Absolute Ruhe, nur ein wenig Vogelgezwitscher und ein älteres Ehepaar, das sich auf den Weg zum „Biosphére" machte (die riesige Kugel ist ein Überbleibsel der Expo 1967 und birgt heute wohl eine Öko-Ausstellung). Mein Weg führte aber auf die entgegengesetzte Seite der Insel, schließlich wollte ich ja an das der Stadt zugewandte Ufer. Dieser Teil der Insel war völlig menschenleer, was ein Kontrast zum Großstadtgewirr, das nur drei U-Bahn-Minuten entfernt ist. Zwischen den Bäumen hüpften graue Eichhörnchen herum, die aber recht scheu waren, sehr viel dreister waren da schon die schwarzen Vögel mit den orangenen Flügeln, ein Sorte die ich noch nie gesehen hatte, aber ich musste sie enttäuschen, habe sie nicht gefüttert. Ein paar geschlossene Imbisstände zeugten davon, dass im Sommer oder an Wochenenden hier vielleicht mehr los ist.
Es gab tatsächlich einen Aussichtspunkt mit ein paar Bänken und der Skylineblick war ganz prima. Nur der Nebel ließ Montreal ein wenig blass erscheinen. Über das Wasser (das tatsächlich auffallend schnell strömte) konnte man das Zirkuszelt im Hafen sehen und auch Notre Dame und einiges mehr, was ich in den letzten Tagen besichtigt habe. Während ich dort stand und den Blick genoss, zog der Nebel wieder etwas höher und das Kreuz vom Mont Royal kam zum Vorschein. Aha, nun hätte man doch hinunter schauen können, aber ach was, besser als von hier kann der Blick auch nicht sein.
Als ich genug von der Stille hatte, fuhr ich mir der U-Bahn zurück und bin in der Innenstand einfach ins Blaue hinein mal an einer Station ausgestiegen, an der ich bisher noch nicht war. Ich kam wieder auf der Rue St. Catherine an, noch ein Stück weiter oben als wir vorgestern gelaufen waren. Hier herrsche ein unglaubliches architektonisches Wirrwarr. Winzige Häuser, riesige Wolkenkratzer und prächtige alte Kaufhäuser. Herausgeputze Häuser und heruntergekommene Häuser. Dazwischen auf der Straße die amerikanischen Trucks, man merkte schon, dass ich nicht zuhause sondern zumindest geographisch in Amerika war!
Und dann entdeckte ich auch noch einen riesigen CD-Laden. Und in ihm noch eine Canada-Special-Edition von Chris. Ein anderes Album, aber mit den gleichen Extra-Songs, die ich ja nun schon gekauft hatte. Jawohl, und beinahe hätte die Vernunft gesiegt. Ich habe mich dann für CD´s von Bryan und von Nickelback entschieden. Keine Special Editions, aber Kanadier in Kanada kaufen ist ja irgendwie schon stilecht und Schnäppchen waren sie auch. Doch dann fand ich es irgendwie blöd, weil doch klar war, dass sie für mich nicht diesen Schätzchen-Wert haben, den die Chris-Canada-Edition hätte und wofür sollte ich mein Geld nun lieber ausgeben? Der einzige Ausweg aus dem Dilemma war, alle drei zu kaufen und dazu einen originellen Pfannwender in Form einer Gitarre. Dafür habe ich ja auch gar keine Klamotten geshoppt, denn die waren auch nicht origineller als zuhause, nur teurer. Interessant war aber einer der Klamottenläden, weil er in einem wunderschönen alten Gebäude war, mit einer rundumlaufenden Galerie, stuckverzierten Decken, riesigen Kronleuchtern und bunten Fenstern.
Auf dem Rückweg habe ich dann wohl doch noch ein Stück der „Ville Souterraine" gefunden, auf jeden Fall bin ich durch eine unterirdische Ladenzeile gelaufen, die zwei Einkaufszentren und die Metro-Station verbunden hat. Leider fehlte dann die Zeit, um auszuprobieren, wie weit ich auf diese Weise tatsächlich unter der Stadt entlanggekommen wäre, aber ich kann jetzt wenigstens sagen, ich war da.
Auf dem Rückweg zum Hotel, in meiner Metrostation, hatte ich dann noch ein Stück von einer der Riesenpizzas, die dort mit gut 60 Zentimeter Durchmesser gebacken wurden und mir beim Durchqueren der Station in den letzten Tagen x-mal den Mund wässrig gemacht hatten. Dann Koffer abgeholt und ab in den Flughafenbus. Der Bus brauchte eine ganze Stunde zum Flughafen und so hatte ich noch eine ordentliche Rundfahrt. Quer durch die Hochhausschluchten der Downtown, dann durch die Wohnviertel außerhalb, vorbei am riesigen Atwater Market und ein langes Stück an einem Kanal entlang.
Der Aufenthalt am Flughafen verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich habe mein restliches Kleingeld in Ahorncreme-Plätzchen und Ahornsirup-Bonbons umwandeln lassen, was nicht so ganz einfach war, denn die Preise werden in Kanada immer ohne Steuern genannt und so musste mir die Dame an der Kasse mit dem Taschenrechner helfen, um herauszufinden, wie viele Leckerli ich kaufen kann.
Die Maschine war diesmal deutlich voller, Montreal ist ja auch eine viel größere Stadt als Ottawa. Lange hatte ich Hoffnung, dass der Platz neben mir trotzdem frei bleiben würde, denn mein Nachbar kam recht spät, doch dann setzte sich doch ein Herr neben mich, Typ „der Graf". Schräg hinter uns in der Mitte blieben aber tatsächlich drei Plätze frei und dort huschte der Graf schnell hin, kurz bevor sich die Maschine in Gang setzte. Das bescherte nicht nur ihm einen freien Nachbarplatz, sondern auch mir. Ich sehe schon, Seathopping kann in allerlei unterschiedlichen Lebensbereichen Sinn machen. Der Flieger parkte aus, drehte um 90 Grad und blieb stehen und stehen. Dann die Durchsage „wir haben ein technisches Problem". Oh, nein, das kannte ich doch schon!! Saß ich womöglich wieder in genau der gleichen Maschine und es war noch immer niemand in der Lage gewesen, das Problem endgültig zu beheben? Auch diesmal ging es nach einer viertel Stunde weiter und ich vertraute darauf, dass die Maschine auch diesmal in der Luft bleiben wird, was auch immer dieses seltsame Dauerproblem verursacht.
Als meine (noch immer nach kanadischer Zeit gehende) Uhr 23 Uhr zeigte, stellte mir die Flugbegleiterin einen Frühstücks-Muffin hin und sagte „Good Morning, it was a short night, wasn´t it?". Wie bitte?? Ich hatte meine Nacht ja noch nicht mal angefangen, sondern war noch eifrig dabei, meinen Reisebericht zu tippen.
Von da an ging alles wie am Schnürchen, pünktliche Landung in Frankfurt (und wir sind extra aus östlicher Richtung gelandet, um meine Lieben nicht zu wecken), nur fünf Leute am Gepäckband (der Rest waren wohl alles Umsteiger?) und die S-Bahn kam auch gleich. Und da mir mein Mann aufopferungsvoll am Vorabend das Auto an den Bahnhof gestellt hatte, konnte ich nur 7 Stunden und 10 Minuten nach dem Start in Montreal meine Haustür aufschließen. So früh, dass meine Lieben noch geschlafen haben, irgendwie hatte ich mir meinen Empfang ja anders ausgemalt.
Und wenn ich jetzt mal resümiere, dann hat wirklich einiges geklappt, worauf ich nicht mal zu Hoffen gewagt hatte. Vom tollen Wetter über die wirklich zufriedenstellenden Schnäppchenhotels (mein Bad am Flur hat außer mir niemand benutzt), die guten Plätze an der Bühne und die Chrisknuddels, bis zu den bequemen (freier Nachbarplatz) und pünktlichen Flügen. Und auch die günstigen Bedingungen, die vor Abflug schon fest standen, mein Geburtstag, der Schnäppchenflug als Gabelflug, die Tatsache dass Bryan kommt (mitsamt direkter Busverbindung vom Hotel), die Mädels, die mich mit nach Montreal genommen hatten und all sowas. Als ich begann, von einer Konzertreise nach Kanada zu träumen, hatte ich immer wieder Momente, wo ich dachte, dass das Ganze entschieden zu aufwändig wäre. Im Nachhinein betrachtet lief aber alles so toll, dass es so arg aufwändig doch gar nicht war und ich denke, meine Reise hat sich mehr als gelohnt! Und, oh Wunder, auch zuhause haben sie meine Abwesenheit unbeschadet überstanden.
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