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Nach drei Tagen strahlendem Sonnenschein (ein Wetter auf das ich nie zu hoffen gewagt hätte, schon gar nicht, nachdem Chris eine Woche vorher bei Tourbeginn von minus 2 Grad geschrieben hatte…) schüttete es heute Morgen wie aus Kübeln. Sowohl für die deutsch-holländische Reisegruppe als auch für die Mädels aus der Pfalz war heute der Abreisetag, denn sie hatten ihren Flug gebucht, bevor das zweite Montrealer Konzert als Zusatzkonzert nachgeschoben wurde.
Eigentlich hatte ich ja schon Pläne für den Tag alleine. Bei meinen Reisevorbereitungen hatte ich ein sehr cooles Wellnessbad in einer alten Fähre im alten Hafen mit Whirlpool an Deck mit Skylineblick gesehen und davon hatte ich schon wochenlang geträumt. Für den Nachmittag stand der Mont Royal auf dem Programm, der einen einmaligen Blick auf die Stadt bieten soll und ein Muss für alle Touristen ist. Den Plan mit dem Schwimmbad habe ich dann aber schon beim Blick aus dem Fenster aufgesteckt, was will ich im strömenden Regen im Schwimmbad, zumal mir meine Tochter freundlicherweise eine Erkältung mit auf den Weg gegeben hatte.
Zunächst habe ich mich noch einmal mit den Mädels aus der Pfalz bei Starbucks zum Frühstück getroffen. Und bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, wir hätten ein eintöniges Programm: es war diesmal tatsächlich eine andere Filiale. Und weil es schüttete und schüttete und schüttete saßen wir dort ziemlich unmotiviert herum und haben gequasselt. Ganze zweieinhalb Stunden lang, bis ich mich endlich aufgerafft habe, wieder hinaus in die unfreundliche Welt zu gehen, schließlich wollte ich wenigstens den Mont Royal sehen.
Zuerst bin ich mit der Metro auf die andere Seite des Berges gefahren, wo ich mir den Markt „Marche Jean Talon" angesehen habe. Die Marktstände waren immerhin überdacht, aber auf den Wegen zur und von der Metro bin ich trotz Knirpsschirm, für den es teilweise zu windig war, etwas nass geworden und deshalb habe ich nun auch noch gefroren. Wenigstens habe ich an einem der Marktstände endlich einen Ahornsirup-Pfannkuchen bekommen, der ja recht weit oben auf meiner To-Do-Liste stand. Eigentlich war es ein Crepe und nicht so ein typischer dicker Pfannkuchen, wie es sie in Ottawa gab. Aber der Marktstand hatte eine kleine Sitzecke mit Heizstrahler, da will ich mal nicht meckern. Geschmeckt hat er auch.
Meine Idee war es, den Mont Royal von seiner Rückseite über den Friedhof zu erklimmen und das wäre bestimmt interessant gewesen, da der Friedhof mit seinen schönen alten Grabmalen sogar im Reiseführer erwähnt wurde. Allerdings hatte ich so gar keine Ahnung, wie viel Zeit ich dafür brauchen würde, weder konnte ich einschätzen, wie steil der Berg ist, noch wie direkt mich die Wege über den Friedhof führen würden. Das Risiko stundenlang durch den strömenden Regen zu latschen war mir dann doch zu hoch, also Plan B: Mit der Metro zur Station Mont Royal, von dort sollte ein Linienbus direkt zum Aussichtspunkt fahren. Nun, da stand ich dann an der Avenue du Mont Royal an der Haltestelle, es schüttete munter weiter und weit und breit war keine Gelegenheit, sich unterzustellen. Und ich stand und stand und stand. Meine Liniennummer war angeschrieben, aber kein Fahrplan und so langsam wurde klar, dass der Zeittakt wohl ziemlich groß sein muss. Reichlich nass und verfroren dachte ich daran, dass ich, wenn ich denn oben ankomme, auch für den Rückweg wieder ewig auf den Bus warten müsste. Also habe ich dann auch Plan B verworfen und die Bergexpedition aufgegeben. Vielleicht klappt es ja morgen noch.
Stattdessen bin ich eine Weile an der Avenue du Mont Royal entlanggelaufen, hier scheint die „alternative Szene" zuhause zu sein. Einfache Läden und Bistros und an den Häusern wurde mit viel Farbe darüber hinweg getäuscht, dass sie nicht im besten Zustand waren. Hatte irgendwie auch seinen Reiz. Im Schaufenster eines Second-Hand-Plattenladens lag die Beatles-Edition von Monopoly. Nun wusste ich immerhin, dass es richtig war, die Stones nicht zu kaufen. Aber das Entscheidungsdrama begann von vorne. Am Ende siegte wieder die Vernunft, mit den gleichen guten Argumenten. Leider war auch eine Second-Hand-Platte keine gute Option fürs Fluggepäck.
Ein Stück weiter unten waren in den Nebenstraßen Wohnhäuser, die schon wieder einen sehr gepflegten Eindruck machten, typische kleine Reihenhäuser mit dem Balkon über der Eingangstür. Nun macht ein Ahornsirupcrepe auf Dauer ja nicht satt und es war auch Zeit mal wieder etwas zu trocknen. Also bin ich in einen Grillimbiss mit Sitzgelegenheit gegangen, die Bestellung wurde zum größeren Problem, denn das war tatsächlich der einzige Ort auf meiner Kanada-Reise, wo man mir auf Englisch so gar nicht weiter helfen konnte. Ansonsten bin ich mit meinem meistgesprochenen Satz dieser Tage „sorry, I don´t speak French" wirklich überall weiter gekommen.
Die Montrealer sind ausgesprochen hilfsbereit, egal wo man den Stadtplan auffaltet, sofort fragt jemand, ob er helfen kann. Und am ersten Tag kam mir der junge Mann von der Rezeption im Hotel sogar auf der Straße nachgerannt, weil er dachte, es ist doch besser, mir einen Metro-Plan mitzugeben.
Auch nach dem Essen wollte sich die Wetterlage absolut nicht ändern und da habe ich beschlossen, den Rest des Nachmittags im Hotel zu verbringen und mich einfach darüber zu freuen, dass ich mich mal ausruhen und ein bisschen im Internet surfen kann.
Es regnete immer noch, als ich mich auf den Weg zum Konzert machte, inzwischen aber nicht mehr ganz so stark. Dort angekommen war die Zahl der bekannten Gesichter erheblich geschrumpft, aber die Deutsche mit der Kanadischen Freundin und auch eine Kanadierin mit ihrem Mann, die ich schon aus dem Forum kannte und nun auf allen drei Konzerten getroffen hatte, waren da.
Die ersten drei Songs des Konzerts habe ich diesmal ganz besonders genossen, die Moonfleet-Songs, denn dieses, mein zehntes (!) Moonfleet-Konzert wird wahrscheinlich auch das letzte sein. Ich bin auf Moonfleet in diesem Reisebereicht nicht weiter eingegangen, denn an der Präsentation hat sich gegenüber den deutschen Konzerten nichts geändert (außer dass „Treasure und Betrayal" weggekürzt war), trotzdem liebe ich das Album und die meisten Songs daraus noch immer und ich träume auch immer noch davon, dass das Werk eines Tages mal komplett aufgeführt wird. Hoffentlich gibt es wenigstens mit dem ein- oder anderen Song ein Wiederhören, aber jetzt habe ich erst mal versucht, sie noch einmal richtig in mir aufzusaugen.
Chris bekam zwar Standing Ovations, als er auf die Bühne kam, nicht jedoch für den „Spaceman" und auch nicht für „Spanish Train", auch wenn hier der Applaus sehr groß war. Na klar, die ganz großen Fans hatten das erste Konzert gekauft. Die von ihnen, die nun zusätzlich auch im zweiten Konzert waren, waren heute nicht mehr ganz so aufgekratzt und der Rest waren eher die Gelegenheitsbesucher. Ganz große Resonanz hatte diesmal aber „The Leader" bekommen und mir gefiel das Gitarrensolo von Neil und seine Art auf den Knien zu spielen jetzt richtig toll, die gemischten Gefühle vom ersten Abend waren weg.
Im Laufe des ersten Teils kam eine Dame auf die Bühne, die Chris ein (ich gehe davon aus selbst gezeichnets) Portrait geschenkt hat, das allerdings einen sehr jungen Chris zeigte . Dafür bekam sie einen extra langen Knuddel und das Bild durfte den ganzen Abend vorne auf der Bühne stehen bleiben. Chris hat dann noch kurz mit dem jungen Chris gesprochen und ihn gefragt, ob ihm die Show gefällt.
In der Pause wollte ich ein Foto vom obersten Balkon machen. Eine Rolltreppe führte nach oben, aber einen Weg zurück nach unten schien es nicht zu geben. Ich weiß auch gar nicht genau, wie ich es vor Ende der Pause doch noch geschafft habe (auf jeden Fall war ich ganz alleine in irgendwelchen Feuer-Treppenhäusern unterwegs), aber an einen längeren Moment der Panik kann ich mich gut erinnern, in dem ich die Parallelen zum Guinness Store House in Dublin und zum Paul McCartney Konzert in der Kölnarena sah. Das ganze Gebäude war irgendwie seltsam gestrickt, nie zuvor habe ich auch erlebt, dass die Sitzreihen bis zu Hälfte nur mit den geraden Zahlen nummeriert waren und die andere Hälfte dann mit den ungeraden. Ich hatte diesmal übrigens einen Platz in der 12. Reihe, denn das war das Ticket, das ich schon gekauft hatte, rein sicherheitshalber, bevor ich mich überhaupt endgültig für die Reise entschieden hatte. Ich hatte damals geglaubt, Platz 25 von 50 sei in der Mitte, was er aber dann aufgrund der beschriebenen höchst ungewöhnlichen Systematik doch nicht war. Naja, dafür kam ich später leichter nach draußen.
Dieses besondere Gefühl, den Film der deutschen Wiedervereinigung so weit weg von zuhause zu sehen, war auch diesmal da. Und hat er "Borderline" diesmal nicht sogar nur für mich gespielt? Wahrscheinlich war wirklich niemand im Publikum, der davon bewegter war als ich, die im „Zonenrandgebiet" aufgewachsen ist. Zu „People of the World" sind die Leute diesmal nicht aufgestanden, aber ganz ganz viele haben das Peace-Zeichen mit den drei ausgestreckten Fingern gezeigt. Das hatten wir ja noch nie und ich finde das sehr bemerkenswert, wie so eine Sache aus dem Nichts auftaucht, in der selben Stadt, in der gestern schon ein Konzert war. Irgendwer hat wohl angefangen und alle haben mitgemacht.
Bevor Chris auch heute Abend Marie-Élaine Thibert ankündigte, sang er nicht nur „Quand je pense a Toi" und „Le Coeur d'une Femme" an, sondern auch „Tender Hands" und auf Zuruf aus dem Publikum „Brother John". Als Marie-Élaine die Bühne betrat, waren Applaus und Jubel deutlich größer als am Abend davor. Meine Theorie: Als die Nachricht von ihrem Auftritt heraus kam, haben ihre Fans ganz schnell Tickets gekauft, der erste Abend war da ja schon ausverkauft. Also saßen heute möglicherweise etliche Marie-Élaine-Fans im Publikum. Das Duett war wieder genauso unglaublich wie am Abend davor. Allein dafür hat sich die Reise ja schon gelohnt! (Genau diesen Gedanken hatte ich derweil schon öfters, so dass es wohl gleich eine ganze Reihe von „allein-dafür´s" gab…). Und diesmal gab es nach dem Duett Standing Ovations, absolut wohlverdiente!! Als Marie-Élaine von der Bühne ging, sagte Chris, was für eine tolle Frau sie sei, und vor allem genauso groß wie er. Hmm, vielleicht hat er gar nicht unrecht, und dies ist ein weiterer Grund, warum die beiden so schön zusammen passen. Aber ich bleibe doch bei meiner Meinung, dass es vor allem die Stimmen sind.
Der Solo-Part hielt dann eine ganz große Überraschung bereit: „This Song For You" Chris spendierte den Kanadiern also einige extrem selten gespielte Songs von „ihrem" Spanish-Train-Album, „The Tower" war an allen drei Abenden dabei. Die Stimmung im Publikum wurde besser und besser und auch wenn es zögerlicher los ging, ich hatte das Gefühl, am Ende war sie sogar noch besser als am Vorabend.
Als Chris seinen Rundgang durchs Publikum begann, zwängte ich mich zur anderen Seite als gestern aus der Reihe, auch die Deutsche mit der Kanadischen Freundin saßen diesmal auf dieser Seite und lustigerweise startete nun auch Chris anders herum. Unterwegs in unserer Nähe bekam er von einer Dame einen roten Schal geschenkt und direkt vor unserer Nase tanzte er auffallend lang und eng mit einer sehr jungen Lady in Red. Hoffen wir mal, die junge Dame wusste das auch zu schätzen und ist nicht nur von ihrer Mutter an die Front geschickt worden (so unhöflich, Chris direkt abzuweisen, ist ja sicher nur meine Tochter…).
Auch diesmal herrschte keine Panik beim Bühnensturm und plötzlich, wo es doch mein letzter Abend war, mochte ich auch gar nicht mehr die Größe zeigen, den Kanadierinnen die besten Plätze zu überlassen und blieb ganz vorne an der Bühne stehen. Das wiederum sicherte mir einige von des Meisters Streifblicken und die Konzertrauschhormone begannen noch mehr zu rasen.
So konnte ich am Ende gar nicht mehr sagen, ob die Stimmung dann wirklich noch besser als gestern war, oder ob es einfach nur mir so vor kam. Auf jeden Fall bin ich aber überzeugt davon, dass diese sehr hoch gebauten Theater für ein ganz besonderes Gefühl sorgen, wenn die Bässe und Drums von den Wänden zurück wummern und das Publikum, das in mehreren Etagen bis unter die Decke sitzt, ordentlich gut drauf ist, so war es auch schon im Grand Canal Theatre in Dublin.
Zu "Patricia The Stipper" flog wieder ordentlich viel Unterwäsche. Und ausgerechnet bei diesem schlüpfrigen Song hat Chris mit mir grinsend das wer-zuerst-wegschaut-hat-verloren-Spiel gespielt. Natürlich habe ich verloren. Nun bin ich ja grundsätzlich ein sehr vernunftgesteuerter Mensch und daher ist mir schon klar, dass seine Flirterei mit den Damen vor der Bühne nichts weiter als eine pfiffige Geschäftsidee ist (jjaaa, Chris, ist ja gut, ich werde mir gleich "on the way out" zwei T-Shirts und die letzte Special-Edition kaufen und sobald ich zuhause bin noch drölfzich Konzerte nachbestellen... ). Aber irgendwie hat der Blick dann doch gereicht, um den Konzertrausch gegen unendlich gehen zu lassen. Und so war meine Rücksichtnahme auf das bedauernswerte kanadische Publikum (das ihn ja so selten sieht) plötzlich völlig verflogen und ich musste Chris ganz dringend noch mal umarmen, als er die Treppe runter kam -heja, es war ja auch der letzte Abend. Wobei, so ganz unschuldig waren die Kanadier auch gar nicht, denn drei von ihnen haben mich bei der Zugabe ziemlich unsanft vor der Bühne weg in Richtung Treppe geschubst, um am Bühnenrand ein Autogramm zu jagen (das sie dann auch bekamen, was übrigens ganz neu ist, ich sah Chris nie zuvor von der Bühne Autogramme schreiben).
Chris Verabschiedung vom Publikum klang noch ehrlicher gerührt als am Abend davor und er versprach, sehr bald wieder zu kommen (ui, da muss ich das Reisesparschwein ja schon wieder füttern…).
Neben mir stand meine Kanadische Forenbekanntschaft und nachdem Chris auch diesmal so schön direkt auf mich zugesteuert war, sagte sie zu mir „I think he knows you very well". Ja, das thinkte ich jetzt allerdings auch. Jetzt wäre es natürlich noch perfekt, von dieser tollen Reise ein besonderes Souvenir mit nach Hause zu nehmen: Die Setlist, die vor Chris Füßen geklebt hatte. Die Bühenarbeiter machten so gar keine Anstalten sie herunter zu reichen, doch dann setzte sich meine kanadische Forenbekanntschaft ein und bekam das Teil, um es an mich weiter zu geben. Wow, ich wusste gar nicht, ob ich das annehmen konnte, schon wieder eine große Geste der kanadischen Gastfreundschaft.
Danach war ich es nun, die sich verabschieden musste. Von Jason, von Neil (der meine Setlist mit einem Autogramm veredelte), von der Deutschen (die noch für ein weiteres Konzert der Tour folgte), ihrer Freundin und meiner neuen Forenbekanntschaft (die mir die Setlist spendiert hatte). Ich schwebte beschwingt mit der Metro nach Hause und selbst die nächtlichen Gestalten in der U-Bahn-Station wirkten auf einmal gar nicht mehr so gruselig wie befürchtet.
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