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Let's conquer the West!
Drei Monate blieben mir noch in meinem Sabbathjahr. Drei Monate Nordamerika. Einmal zick zack durch, ein Hüpfer und zwei kleine Kreise, um das Ganze mal graphisch zu beschreiben. Geographisch braucht es ein paar mehr Details, um verständlich zu werden. Mit dem Zug zunächst von New York runter in den Süden nach New Orleans, mit Stopps in Philadelphia und Washington. Danach hoch in den Norden über Memphis nach Chicago. Und schliesslich wirklich in den Westen, in einem Rutsch nach Los Angeles.
Fast unmittelbar von London nach New York zu fliegen, bringt die erstaunlichsten Vergleiche zu Tage. Von der Alten in die Neue Welt, sagt man doch so, und doch kam mir London um einiges innovativer, ansprechender und zugänglicher vor. Vielleicht liegt es daran, dass London sich für Olympischen Spiele 2012 besonders heraus geputzt hat oder daran, dass die Hauptstadt eines ehemaligen Weltreiches sich besser international zugänglich organisieren kann. In London verloren zu gehen, ist sehr schwer. Alles ist ausgeschildert, die Transportwege sind problemlos nachvollziehbar, alles ist logisch und macht Sinn. Als Tourist wird man gut behütet durch die Stadt geleitet. Alles ganz fein.
In New York irritiert schon die Fahrt mit der U-Bahn vom Flughafen in die Stadt. Es gibt diese Besonderheit der Express- und Lokalzüge in der U-Bahn; nur letztere halten an jeder Station; muss man wissen, sonst ist man schnell an seinem Stopp vorbei gerauscht. Überhaupt ist die New Yorker U-Bahn kein einladener Ort. Mag sein, dass sie unsichere Zeiten hinter sich, aber wohl und damit auch sicher fühlt man sich heute trotzdem nicht. Schlecht beleuchtet, schlecht beschriftet, nicht sehr ansehnlich. Man fühlt sich wirklich wie im Untergrund und nicht wie in einem modernen Transportmittel.
Mag auch sein, dass ich New York auf dem falschen Fuss erwischt habe. Nach einem langen Interkontinentalflug, sechs Stunden Zeitverschiebung, an einem grauen Morgen im Mai. Mir kam die Stadt düster, klaustrophobisch eng und unsympathisch vor. Einen langen Aufenthalt hatte ich mir nicht vorgenommen. New York war lediglich der Ort, an dem ich in den Zug in Richtung Süden steigen wollte. Auf die Idee mit der Zugreise bin ich durch eine Dokumentation im Fernsehen gekommen, bei dem Reisende genau das gemacht haben: mit dem Zug einmal quer durch die USA. Auf der Homepage von Amtrak, der amerikanischen Bahn, gibt es nicht so viele Langstreckenzüge im Angebot. Das Streckennetz ist zwar vorhanden, wird aber kaum für Personenzüge genutzt. Die USA sind nach wie vor das Land des Individualverkehrs. Mir hat ein frustrierte amerikanischer Bahnfahrer erzählt, wie sehr die Autolobby den Ausbau und die Professionalisierung des Bahnverkehrs unterminiert. Das Ergebnis ist folgendes:
Bahnfahren in den USA
Um an mein Zugticket - ein 15-Tage-Rail Pass - zu kommen, waren ein paar Verenkungen notwendig. Kaufen kann man es im Internet. Das Buchen der Strecken geht jedoch nur telefonisch! (Das Gespräch hat fast 20 Minuten gedauert, weil ich ja sechs verschiedene Züge nehmen wollte!) Ist man dann am Startbahnhof wird die telefonische Reservierung in handfeste Tickets umgeformt.
Entlang der Achse Boston - New York - Philadelphia - Washington gibt es ein gutes Angebot an Nah- und Fernverkehrszügen. Es gibt einige andere Ballungsräume, die vielleicht ebenfalls recht gut erschlossen sind; Chicago, Los Angeles. Das restliche Streckennetz ist mehr als löchrig. Züge über größere Entfernungen fahren meist nur einmal am Tag. In New Orleans kommen am Tag drei Züge an und drei fahren ab.
Überhaupt erst sind die Bahnhöfe erst in jüngster Vergangenheit wieder hergerichtet worden und lassen jetzt viel von der Großartigkeit und Bedeutung des Bahnverkehrs zu Beginn der amerikanischen Eisenbahnerzeit erkennen.
Die Züge selber wirken ebenfalls eher historisch. Silbern glänzend, gediegen und großzügig ausgestattet, viel Beinfreiheit. Jeder Wagon hat seinen eigenen Schaffner, der stets ein kleines Trittbänkchen an die Tür stellt und damit die Schritthöhe zur ersten Stufe erträglich macht.
Dieser Schaffner begüßt jeden Fahrgast auch persönlich und teilt noch vor Betreten des Zuges die Sitzplätze zu. Nachdem alles ordnungsgemäß schriftlich festgehalten ist, darf man sich in den Zug, begeben. Ist der Zug losgerollt ist, kommt der Schaffner vorbei und kennzeichnet jeden Platz mit einem kleinen Schildchen. Nach jedem Bahnhof wird diese Prozedur des Schildchenaustauschens wiederholt. Naja, so viele Bahnhofstopps gibt es nicht.
Da die Entfernungen in den USA grundsätzlich groß sind, dauert es oft Stunden von einer Stadt zu nächsten. Auch weil die Geschwindigkeit des Zuges manchmal nicht Schrittgeschwindigkeit übersteigt. (Ob das am Zustand der Züge oder des der Gleise liegt, weiss ich allerdings nicht.)
Für meine wenigen Stunden in New York hatte ich mir nur eine Sache vorgenommen: Das Empire State Building. Als ich das letzte Mal auf der Aussichtsplattform im 86. Stockwerk war, musst ich zuvor lange, lange anstehen und viel Geld für das Vergnügen bezahlen. Billiger geworden ist es seitdem nicht, aber die lange Schlange hatte sich über die Jahre aufgelöst. Doch auch von oben sah New York eher trübe aus. In der Ferne konnte ich die Freiheitsstatue erkennen und das neue World Trade Center.
Kennt jemand diesen Zustand, eine wichtige Information nicht zu haben und sich dessen nicht bewusst zu sein, weil man gar nicht mitbekommen hat, das es da etwas Wichtiges zu wissen gibt? New York hat zwei Bahnhöfe! Grand Central Station und Pennsylvania Station. Und wie das so ist, bin ich zunächst in bestem Wissen und Gewissen zum falschen gelaufen. Grand Central ist der Bahnhof, von dem man meint, er wäre der einzige. Also, von dem ich gemeint habe, er wäre der einzige. Doch, Glück im Unglück. Zum einen hatte ich an diesem Morgen keine Zeitnot und zum anderen liegen beide Bahnhöfe nur wenige Häuserblocks auseinander. Somit bin ich am frühen Nachmittag gemächlich und unterirdisch aus New York herausgerollt. Erst in New Jersey, auf der anderen Seite des Hudson Rivers, kommt der Zug ans Tageslicht und bis Philadelphia sind es nur ein paar Stunden.
Die großen Langstreckenzüge haben alle schicke Namen: The Crescent (New York - New Orleans), The City of New Orleans (New Orleans - Chicago) und The South-Western Chief (Chicago - Los Angeles). Auf den Anfangskilometern gab es Internet im Zug und jeder Sitzplatz hatte sogar Stromversorgung in Form einer Steckdose, in der mein Adapterstecker nicht halten wollte. (Das ist keine Ausrede!) Die Strecke nach Philadelphia war wenig eindrucksvoll. Zugstrecken führen wahrscheinlich in jedem Land durch die nicht so schönen Stadtteile und südlich von New York ist auch die Landschaft wenig abenteuerlich, irgendwie wie zu Hause. Bemerkenswert fand ich allerdings die Vororte. Häuserzeilen, die aus teils bewohnten und aus teils akut verfallenden Häusern bestanden. Mein erster Eindruck von Philadelphia war somit ein trostloser.
In den nächsten zwei Wochen sollte sich mein Bild von den USA um einige bunte Bausteine erweitern. Bisher haben sich meine Erfahrungen hauptsächlich auf den Westen der USA beschränkt, die Sonnenseite des Landes. Reich an Materiellem und an tollen Landschaften ist die Westküste und die Region bis zu den Rocky Mountains ein schöner Spielplatz für Touristen. Städte wie San Francisco, Las Vegas und Los Angeles sind für amerikanische Verhältnisse attraktiv und die zahlreichen Nationalpark sind sicherlich einzigartig. Der Osten und der Süden sieht anders aus. Doch wie anders, war mir vorher nicht so ganz klar. Jetzt war ich auf Bildungsreise. Die frühe, staatstragende amerikanische Geschichte, deren Orte im Osten zu finden sind, und die Kultur des Südens wollte ich mir mal näher ansehen.
Philadelphia
Damit ich hier nicht so oberlehrerhaft was dahinschreiben muss, füge ich einfach einen Auszug aus dem Wikipedia-Artikel an:
Philadelphia ist eine Stadt im US-BundesstaatPennsylvania. Mit 1.526.006 Einwohnern (Stand: 2010) ist sie die fünftgrößte Stadt der Vereinigten Staaten und die größte des Bundesstaates Pennsylvania. An der Ostküste ist Philadelphia nach New York City die zweitgrößte Stadt. Die Stadt liegt am Delaware River im Zentrum der MetropolregionDelaware Valley.
In der Geschichte der USA ist Philadelphia eine der bedeutendsten Städte. Nach New York und vor Washington war sie 1790 bis 1800 Nationalhauptstadt und damals die größte Stadt der USA sowie nach London die zweitgrößte englischsprachige Stadt der Welt. In Philadelphia tagte der erste und teilweise auch der zweite Kontinentalkongress sowie der Verfassungskonvent von 1787, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung wurde hier verkündet und die Verfassung beschlossen.
Nachdem der erste Eindruck der von zerfallenen Häusern war, machte das Bahnhofsgebäude um so mehr daher. Auch vor dem Gebäude begüßten mich ein paar hübsche Stühle und Tische (die fehlten mir in New York) und ein Schild, das mich Richtung Innenstadt schickte. Zu Fuß. Amerika, das Land des Autos, wollte ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß bereisen diesmal. Zu meinem Hostel waren ungefähr 40 Minuten zu laufen, einmal quer durch den Innenstadtbezirk, vorbei an Hochhäusern und dann zu den Ziegelsteinbauten der frühen Jahre. Philadelphia liegt am Delaware River und die erste Anlegestelle für Schiffe war auch der Ausgangspunkt der Besiedlung. Mein Hostel war nur 10 Minuten vom Fluss entfernt. In einem kleinen Park steht dort ein Denkmal zu Erinnerung an die irischen Einwanderer, die während der großen Hungersnot in Irland im 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten gekommen sind. Es zeigt etwa 10 Menschen, die sich als Gruppe zusammengescharrt haben. Ein ähnliches Denkmal steht im Hafen von Dublin, natürlich aus irischer Perspektive. Auffallend sind die unterschiedlichen Interpretationen des Ereignisses. Während in Irland die Auswanderer einen fast verhungerten Eindruck machten, waren sie schon bei Ankunft in der Neuen Welt wohlgenährt und voller Tatendrang.
Aber die eigentliche Geschichte, um die es in Philadelphia gehen sollte, spielt sich im Independence National Historic Park ab. Hier steht die Independence Hall, die als Teil einer Führung zu besuchen ist.
Wikipedia:
Das Gebäude wurde im Jahre 1741 unter dem Namen Pennsylvania State House fertiggestellt und diente als Sitz der Regierung von Pennsylvania, damals noch eine der dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika. Die Liberty Bell befand sich von 1753 bis 1876 im Glockenturm der Independence Hall.
Im Jahre 1775 traf sich der zweite Kontinentalkongress in der Independence Hall und nahm dort im Jahre 1776 die von Thomas Jefferson ausgearbeitete Unabhängigkeitserklärung an. Dieses Ereignis führte zu der heute geläufigen Bezeichnung Independence Hall.
1787 traf sich dort die Philadelphia Convention, welche die Verfassung der Vereinigten Staaten hervorbrachte.
Die Independence Hall ist außerdem auf der Rückseite der 100-US-Dollar-Banknote abgebildet.
So wie wir brav mit unseren Schülern nach Berlin fahren und den Bundestag besuchen, so schoben sich an diesem Maimorgen die unterschiedlichsten Schulklassen durch die Geschichte ihres Landes. Allen Schülern einer jeweiligen Schule waren T-Shirts verpasst worden, auf denen z.B. stand "Mountain View High School - Philadelphia Field Trip 2015". Schuluniform mit begrenztem Haltbarkeitsdatum.
Zweitwichtigstes Ausstellungsstück war die Liberty Bell, (englisch für Freiheitsglocke) ist der Name der Glocke, die geläutet wurde, als die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung in Philadelphia am 8. Juli 1776 zum ersten Mal auf dem Independence Square (Unabhängigkeitsplatz) in der Öffentlichkeit verlesen wurde.
Wusste ich natürlich alles vorher; wo ich doch auch Geschichte unterrichte, manchmal.
Nach meinem historischem Pflichtprogramm bin ich entspannt durch die Stadt geschlendert. Die Temperaturen fühlten sich bereits hochsommerlich an, trotzdem fand ich die schattigen Straßen der Altstadt einladender als all die kühlen Museen. So schäbig die Vororte waren, so nett und herausgeputzt ist das Zentrum der Stadt.
In New York muss man einen Hot Dog an einem Straßenverkaufsstand gegessen haben, in Philadelphia ein Philly Cheesesteak, in New Orleans Cajun Food, in Chicago Deep Dish Pizza, in Los Angeles .. ? Also habe ich all das gemacht. Das Philly Cheesesteak: Es besteht hauptsächlich aus dünn geschnittenem Steakfleisch, das mit Käse überbacken in einem länglichen, weichen Weizenbrötchen serviert wird. Eine reichlich fettige Angelegenheit, wenn mich jemand fragt, aber lecker.
Einen Grund, ins englischsprachige Ausland zu fahren ist ja, um ein bisschen die Fremdsprache zu üben. Und dann treffe ich überall Leute, die mit mir Deutsch sprechen wollen und ich meine damit nicht andere deutsche Reisende. In Philadelphia war es die junge Frau, die im Hostel arbeitete und ein Jahr in Dresden Kunstgeschichte studiert hatte. In Washington die Chinesin, die dort zu einem Kongress war und ansonsten in der Nähe von München wohnte. In New Orleans schliesslich der Australier, der eine Zeit lang in Berlin als Koch gearbeitet hatte. Solche Leute habe ich vorher noch nie getroffen! Kein Wunder, dass es eine Zeit gedauert hat, bis ich wieder "normales, amerikanisches Englisch" gesprochen habe, irgendjemand meinte nämlich, ich hätte einen britischen Akzent!
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