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Nach vier Tagen fängt es an besser zu werden. Na gut, der Rucksack ist dann immer noch zu schwer und der Muskelkater noch nicht ganz weg, aber das gefühlte Alter von 80+ fängt langsam an zu sinken.
Los ging meine GR11-Wanderung in Andorra. Man kann auch am Mittelmeer anfangen, am Cap de Creus, und in 45 Etappen bis zur baskischen Atlantikküste laufen. Vorgenommen hatte ich mir allerdings nur etwa 20 Etappen und Andorra schien mir ein guter Anfangspunkt. Zum einen kann man sich das gut merken, zum anderen sind die Busverbindungen vpn Barcelona dorthin gut. Wie die ganzen Refugios/Hütten und Dörfer und Nationalparks auf dem weiteren Weg hiessen, habe ich zum großen Teil schon wieder vergessen. Ich lebe beim Wandern immer von einem Tag auf den nächsten und Besonders im Nachhinein kann ich die Reihenfolge der Etappen schon nicht mehr genau benennen.
Aber in Andorra habe ich angefangen. Der schwere Rucksack: Als wenn ich es nicht wüsste, wie man WENIG einpackt. Doch als Einzelwanderer muss man natürlich die gesamte Ausrüstung alleine tragen; Zelt, Kocher, Reiseapotheke, Reiseführer. Geschickterweise hatte ich ausserdem zwei Kocher dabei, weil ich mir nicht sicher war, ob ich Brennspiritus oder die richtigen Gaskartuschen (die mit Drehverschluss) bekommen würde. Ich habe schon einmal ohne Kochmöglichkeit und mit Tütennudeln eine Wanderung gemacht und das war nicht lustig. Zur Brennstoffversorgung in den Pyrenäen: Spiritus habe ich überhaupt nirgendwo gesehen und Gaskartuschen nur die zum Einstechen oder Einklicken. (O-Ton meines Outdoorladenberaters: "Nein, eigentlich gibt es nur noch die zum Drehen.") Wie gut, dass ich in Barcelona eine große Kartusche gekauft hatte und bin mit der seeeehr sparsam umgegangen. Wie an mit allem spartanisch umgehen muss, weil die nächsten Einkaufsmöglichkeiten nie so richtig abzusehen sind.
Der Rucksack hat also bestimmt 16 Kilo gewogen, als ich in Arinsal in Andorra aus dem Bus stieg und direkt um die Ecke von der Haltestelle den GR 11 gefunden habe. Deswegen wollte ich am ersten Tag nur drei Stunden bis zur nächsten Hütte und es langsam angehen lassen. Obwohl der Aufstieg nicht so anstrengend war, war ich nach einer halben Stunden pitschnass geschwitzt. So war das immer, wenn der Weg zu tief runter in's Tal ging, man durch Wald laufen musste und Temperaturen und Luftfeuchtigkeit einen zum Schwitzen gebracht haben. Die erste Nacht habe ich in der Nähe einer Hütte im Zelt verbracht, neben einem kleinen Stausee.
Der zweite Tag versprach einen der unangenehmsten Abstiege der gesamten Strecke und als ich oben am Pass stand, dachte ich dementsprechend: Ne, hier will ich nicht runter. Steil, geröllig, sandig, rutschig, dann mit dem schweren Rucksack und zu dem Zeitpunkt noch ohne Wanderstöcke. Eine Stunde habe ich für das schlimmste und steilste Stück gebraucht. Das war nicht lustig. Dann kamen mir aber zwei andere GR11-Wanderer entgegen, die meinten, dass die Pineta-Traverse noch viiiiiel schlimmer sei und ich mir doch schnell Wanderstöcke kaufen sollte. Aus den beiden sprach die Authorität von bereits über 20 durchwanderten Etappen.
Chronologisch möchte ich eigentlich nicht den weiteren Verlauf der Wanderung beschreiben, aber die zweite Nacht war noch mal erzählenswert.
Pferde sind keine Kühe -
Was mein Wanderführer mit keinem Wort erwähnte waren die zahlreichen Pferde, Kühe und Schafe, die besonders in den Nationalparks durch die Gegend streiften. Interessant wäre das vorher zu wissen gewesen, weil man dann mit dem Trinkwasser nicht so sorglos umgehen kann; sprich genau schauen, ob der Bach oberhalb nicht vielleicht durch Tiere verunreinigt ist. Wasseraufbereitungstropfen hatte ich nämlich nicht dabei. Besonders Kühe hinterlassen gerne die nach ihnen benannten Kuhfladen und laufen mit Kuhglocken durch die Gegend. Beides stört manchmal. Die Fladen, wenn man einen guten Platz zum Zeltaufbauen sucht, die Glocken, wenn nachts um 12 in der Zugbahn der Kühe sein Zelt aufgebaut hat. Aber immerhin tun Kühe sonst nichts. Sie gucken und grasen, liegen oder laufen herum.
Pferde sind da anders. Wie Kühe sind sie nachtaktiv (habe ich jetzt herausgefunden), tragen auch Glocken (zumindest immer das Leittier), aber der entscheidene Unterschied ist, dass sie meinen wirklich alles, was grün ist, könne man essen. Also auch mein Zelt. Oder es zumindest mal probieren. Anders an ihnen ist ebenfalls, dass sie nicht ganz so gutmütig sind wie Kühe und eventuell auskeilen, wenn man versucht, sie zu verscheuchen.
Somit hatte ich einigen Spaß mit den Kühen und Pferden und als alle endlich ein zweites Mal an meinem Zelt vorbei gezogen waren, kam noch ein nächtliches Gewitter daher und damit war die zweite Nacht erfolgreich schlaflos.
Eine weitere schlaflose Nacht hatte ich, als ich zwei Wochen später unplanmäßig in einer kleinen Steinhütte übernachtet habe, die bereits von einem Mäusepaar bewohnt war. Naja, die waren zuerst da. Was soll man da machen? ;-)
Die meisten anderen Wanderer sind ohne dieses furchtbar schwere Gepäck unterwegs. Mit ein bisschen Planung (und Reservierungen), ist der GR 11 auch ausschliesslich mit Übernachtungen in Refugios oder Hotels zu machen. Bei meiner einzigen Refugioübernachtung, in Estoan, traf ich Sandra aus Mallorca, die ohne große Gepäck unterwegs war. Dann kommt man locker mit 10 Kilo aus, ist aber so höchstens eine Kategorie 1b-Wanderer. Hugo und ich haben letztes Jahr in Norwegen mal die Wanderer kategorisiert: 1a - Mehrtageswanderer, die die gesamte Ausrüstung dabei haben; 1b - Mehrtageswanderer, die in Hütten übernachten (das sind die beiden einzigen ernstzunehmenden Kategorien natürlich), 2 - Tagesausflügler, die zumindest so professionell aussehen, als könnten sie auch für mehrere Tage wandern; und dann die Kategorie 3 ... das sind Leute, die mit Schläppchen durch die Berge laufen (also mit vollkommen unsachgemäßer und auch unverantwortlicher Ausrüstung). Sandra war nichtsdestotrotz ;-) sehr nett, wanderte den GR 11 von West nach Ost und konnte mir somit viele interessante Informationen geben; zum Beispiel bestätigen, dass die Pineta - Refugio Goriz Etappe die schlimmste sei (die hatte ich noch vor mir), weil sie sooo steil sei.
Eine eindeutige Kategorie-1a-Wanderin war Caro aus der Nähe von München. 25 Jahre alt und sie hatte vor, die ganze Strecke zu laufen. Wir trafen uns mittags in Espot, nein im Prinzip schon am Tag zuvor, weil wir auf dem selben Campingplatz übernachtet hatten. Ab Espot aber sind wir für über eine Woche gemeinsam bzw. parallel gewandert. Tagsüber unabhängig von einander, aber gezeltet haben wir immer gemeinsam an einem verabredeten Ort. Dass war nicht nur praktisch, sondern auch sehr, sehr nett. Wir konnten uns über alles mögliche unterhalten, von Wandern in den argentinischen Anden bis zu persönlichen Lebensplanungen. Unsere Reiseapotheken haben sich gut ergänzt und bei der nächsten "gemeinsamen" Wanderung werden wir wohl nur EIN Zelt mitnehmen und nicht zwei Zwei-Personen-Zelte.
"Verloren" haben wir uns erst wieder an dem Tag, als die berühmt-berüchtigte Pineta-Etappe anstand.
Denn passend zum Anlass dieses, wie angegeben 4-stündigen, steilen Anstiegs, hatte ich Durchfall und war schwach, geschwächt, schlapp, am Rande der Verzweiflung und des Aufgebens. Letztendlich habe ich 6 Stunden gebraucht und wäre mehrfach am liebsten einfach am Berg sitzengeblieben. Irgendjemand hätte mich schon abgeholt. Nur weil ich wusste, dass Caro oben am Pass auf mich warten würde, habe ich es irgendwie da hoch geschafft.
Für den Tag waren ursprünglich 8,5 Wanderstunden und ingesamt 1750 Höhenmeter in zwei Aufstiegen veranschlagt. Für mich war nach 1000 Höhenmetern Ende. Anstatt mich noch bis zum Refugio Goriz zu schleppen, bin ich im Tal geblieben, das ich dann in der Nacht ganz für mich alleine hatte, bzw nur mit dem oben gewähnten Mäusepaar teilen musste.
Getroffen habe ich ausserdem Anna und Jotam aus Israel, die bemerkenswert waren, weil sie ziemlich am Anfang ihrer GR11-Erfahrung eine interessante Gepäck- und Nahrungsmittelstrategie entwickelt haben. Anna hat sehr schnell herausgefunden, dass Zelt, Isomatte etc. viel zu schwer für sie sind und sie sowieso am besten nur 5 Kilo tragen könnte. So wurde aus ihrer Campingwanderung eine Hüttenwanderung. Gut, kann man noch nachvollziehen. Dagegen war die Lebensmittelauswahl der beiden nicht ganz so pragmatisch: Weißbrot, ein Salatkopf, Gurken, Kuchen ... Der Anblick von so viel frischen Lebensmitteln, wenn man sich selber nur von Trockenobst und synthetischen Nudeln ernährt, ist schwer zu ertragen. An dem Abend waren wir nur zu viert in einer winzig-kleinen Hütte, also konnte man auch nicht an den Gurken und dem Kuchen vorbeigucken. Caro und ich waren der Meinung, so etwas sollte verboten werden. Gurken!!
Aber sie haben uns was abgegeben und waren sowieso sehr nett. Wir haben uns zum Beispiel darüber unterhalten, in welche Länder man als Israeli in Urlaub fahren kann und in welche nicht. Jotam erzählte er wäre mal in Albanien gewesen. Warum? Seine trocken bis verschmitze Antwort: "It's an interesting country. They are Muslim, but they don't want to kill me."
Das viele Essen hat übrigens ausschliesslich Jotam, der Gute, getragen, der damit locker auf 12 Kilo kam.
Ähnliche Essenkünstler waren zwei Studenten aus Barcelona, auch GR11-Gesamtwanderer (Kategorie 1a), die anfangs mit 18 Kilo losgelaufen sind, weil sie der Meinung waren, viel und gutes Essen zu brauchen. Als Caro und ich sie getroffen haben, haben sie zweimal warm zu Abend gegessen (also nach spanischen Verhältnissen ein spätes Mittagessen und ein sehr frühes Abendessen). Einer der Beiden war Sportstudent und sie haben wirklich ordentliche Entfernungen am Tag zurückgelegt. Da muss man natürlich auch ordentlich was essen.
Ne, ich komm' mit Nüsschen und Rosinchen ganz gut über die Runden tagsüber. Da trage ich lieber zwei Kocher durch die Berge.
Die Berge ... ich finde sie immer erst so richtig schön, wenn ich oberhalb der Baumgrenze bin. Dann sieht man wenigstens die Landschaft vernünftig und man hat nicht das Gefühl durch die Eifel zu laufen, sondern im Hochgebirge unterwegs zu sein. Schön ist auch, auf einer bestimmten Höhe zu bleiben und nicht ständig tief runter in's Tal zu müssen und schnell wieder zu nah an der Zivilisation zu sein. In Andorra hat es funktioniert und in den Nationalparks. Dafür waren dort teilweise sehr viele Menschen unterwegs (Kategorie 2) und die Hütten waren sehr voll. Es gab jedoch auch Tage, an denen es höchstens drei Wanderer waren, die mir entgegen kamen.
Technisch waren die Wege nicht besonders schwierig. Zweimal habe ich es trotzdem geschafft böse hinzufallen. Beim zweiten Mal war es wirklich der Versuch mir das rechte Bein zu brechen. Naja, ich übertreibe. Aber ordentliche Schrammen hat es gegeben und beim zweiten Sturz einen wunderschönen, dicken Bluterguss und die Macke ist noch immer nicht vollständig verheilt. Beide Stürze waren an an sich harmlosen Stellen. Wäre der schwere Rucksack nicht gewesen, hätte es mich wahrscheinlich gar nicht von den Beinen geholt. Wenn es technisch anspruchsvoll wird, ist man so konzentriert, dass dann nie was passiert. Auf solchen Passagen sorgt die Konzentration auf den Pfad sogar dafür, dass das Gewicht des Rucksacks nicht mehr spürbar ist. Da ist alles andere unwichtig und es kommt nur auf den nächsten sicheren Schritt an.
Mir hat das Wandern in den Pyrenäen großen Spaß gemacht. Nette Leute habe ich getroffen, dass Wetter war größtenteils ausgezeichnet (abgesehen von den nächtlichen Gewittern und dem nassen Zelt, das man so jeden Tag mit sich rumschleppen musste), die Landschaft war wunderschön, der Weg gut ausgeschildert und durch das viele Wildzelten habe ich kaum Geld ausgegeben. Langstreckenwandern hat allerdings seine Vor- und Nachteile. Toll finde ich dieses Gefühl einer epischen Wanderung, zu Fuß über große Distanzen von A nach B zu laufen. Zu sehen, wie sich langsam die Landschaft, die Vegetation, die Tiere verändert. Anfangs gab unheimlich viele Fliegen, Mücken, Schmetterlinge, später gar nicht mehr. Längst der Pyrenäen zu laufen, wohingegen alle anderen den Gebirgszug meist nur überqueren (Autofahrer, Jakobswegwanderer) hat auch was. Ein Nachteil sind die Streckenabschnitte, die schlichtweg langweilig und nur mühsam sind. 10 km auf einer asphalierten Straße zu laufen oder vier Stunden steiler Aufstieg und ein genauso steiler Abstieg durch dichten Wald, ohne einen Ausblick ausser kurz oben am Pass.
An einer Stelle haben Caro und ich zwei Etappen, die sich nicht sehr vielversprechend anhörten, ausgelassen und sind stattdessen getrampt. Das Trampen war zwar auch sehr zeitraubend, weil wir in einem großen Umweg aus dem einen Tal raus und in's nächste Tal wieder rein mussten. Und doch war es ein interessanter Perspektivwechsel für einen Tag. Zu merken, wie heiss es unten im Tal ist oder wie viele Menschen da mit Autos durch die Gegend fahren.
Nachdem ich mir den Durchfall eingefangen hatte, bin ich noch drei Tage tapfer weitergewandert bis ich in den nächsten Ort, Torla, gekommen bin. Caro ist weitergezogen und sie wird es hoffentlich bis zum Atlantik geschafft haben. Noch habe ich nichts von ihr gehört.
Mein Rückflug ging von Santander aus und ich habe auf dem Weg dorthin (mit dem Bus) noch einen Zwischenstopp in Pamplona eingelegt. Erst als ich in Santander war, hatte ich den Eindruck tatsächlich in Spanien zu sein. Anfangs war es Catalunya und die Begrüßung hieß immer "Bon dia!", dann Aragon und Pamplona liegt im Baskenland, wo man die Sprache gar nicht versteht.
Vielleicht wird meine nächste Pyrenäenwanderung ein Rundweg: ein Stück GR11 auf spanischer Seite und zurück über den GR10 auf der französichen Seite.
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Susanne Wow, das klingt WIRKLICH nach Abenteuer und "Erfahrung". Ich freue mich, dass es alles (recht) gut geklappt hat. Für uns gehts morgen früh übrigens nach Paros, da gibt es auch einen Berg :o)
Herzlichst und in Gedanken oft bei euch ute Liebe Verena, hab herzlichen Dank für diese launischen Reisebeschreibungen, ich genieße sie total und freu mich über jede. Habt eine gute Zeit in der Türkei und genießt das leckere Essen
Birgit Niemeyer Liebe Verena, ich bin schon gespannt auf deinen nächsten Trip! Bei mir geht es nur nach Süddeutschland und dann mit julia nach London. Gruß Birgit
silvester sehr schön beschrieben! wieviele leute du noch getroffen hast, eine woche später war keiner mehr da, ausser nem dänen und einem engländer, die entgegenkamen.. der däne hat mit einer deutschen gesprochen, die dir ähnlich sieht, er wusste den namen aber nicht mehr, nur was mit a am ende... sehr gelassener typ. sonst nur pellegrinos und tageswanderer. weiss jetzt auch, wo du im valle de anisclo übernachtet hast, krass kleine nothütte!