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Eigentlich versuche ich immer, mit meinem Blog nicht hinterher zu hängen, um die Stimmung des Tages richtig einfangen zu können, aber manchmal ist es eben anders und so hänge ich aktuell immer einen Tag hinterher.
Gestern war eine emotionale Achterbahnfahrt, vor allem war es sehr sentimental. Das Wetter hat sicher auch seinen Beitrag geleistet: Dauerregen von morgens bis abends, wir reden hier nicht von Niesel, sondern Sintfluten, die die Straßen runter liefen. Und ich war froh über meine wasserdichten Wanderschuhe.
Ich musste morgens erstmal ausschlafen. Die Fahrt am Montag hatte mich doch sehr müde gemacht und ich hab sehr schlecht geschlafen.
Da mein Hostel diesmal leider nicht ganz perfekt liegt, sondern auf der falschen Seite der Innenstadt, und das Wetter ha so mies war, bin ich mit dem Auto zur Uni gefahren, um dort zu parken und von dort aus loszugehen. Erst bin ich über den riesigen Campus gelaufen, von A nach B braucht man etwa einen Viertelstunde, und habe mich versucht daran zurück zu erinnern, wie mein erster Eindruck von all dem hier war. Ich war ja damals zur Zimmersuche im Sommer schon einmal nach Plymouth gekommen. Es kamen Erinnerungen an Fechtwettkämpfe in der Great Hall, Ausflüge ins Dartmoor mit der Chaplency (der Uni-Kirchengemeinde), Pancake-Day-Essen dort im Gemeindehaus, mein erstes Treffen auf einen meiner kurz später besten Freunde auf der Sports Fair am Stand beim Fechtclub, Gruppenarbeiten in der Library, viele Abende in den Kneipen drumherum, die tausend Wanderungen bergauf und bergab durch die Stadt, man machte alles zu Fuß und die Stadt ist groß und sehr sehr bergig (müssen wir alle fit gewesen sein damals!), ach, es kam einfach alles wieder hoch. Ich war nur 7 Monate hier, aber es waren die glücklichsten Monate meiner 4 Jahre Studium. Ich wollte damals gar nicht mehr weg. Aber es war ja alles so geplant, also musste es auch so bleiben. Dass ich bleiben könnte, stand für meine Eltern keine Sekunde zur Debatte. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich mich je getraut habe zu fragen. Aber ich erinnere mich daran, wie unfassbar glücklich ich hier war und dass ich all das hier so so ungern aufgegeben habe. Ich mochte Bremerhaven und meine FH dort. Die Profs waren toll. Aber eine richtig enge Freundesclique hatte ich nur hier, nie in Bremerhaven. Diese Freundschaften aus dem Studium fehlen mir bis heute, denn dafür, dass die Freundschaften von hier ewig danach noch angedauert hätten, war ich leider zu kurz da. Viele antworteten schnell nicht mehr :-(
Nach dem Campus lief ich durch die Innenstadt, vor allem das damals neue ich gestern trockene Einkaufszentrum gegenüber des Campus. Ist hier wohl wie überall: die Stadt drumherum stiebt neben der Mall langsam ab. Mein allererster Spaziergang in die Innenstadt ließ mich damals total strahlen, denn hier stehe ein paar Palmen. Und ich war seelig, in eine Stadt mit Palmen ziehen zu dürfen. Nachmittags bin ich dann hoch zu meinen alten Vermietern. Tür auf und es war als wäre ich nie weg gewesen :-))) Sie haben sich überhaupt nicht verändert und wir saßen 3,5 Stunden am Küchentisch und haben nonstop geredet. Sie haben mir soooooooo sehr gefehlt. Die beiden sind so warmherzig und offen, interessiert, engagiert, sie passen einfach perfekt zu mir und haben mich damals so toll aufgenommen. Ich war ganz normal Mieterin eines Zimmers bei ihnen in ihrem Haus, einer großen Stadtvilla mit Garten, für englische Verhältnisse etwas Besonderes, aber sie haben mich mich so schnell zuhause fühlen lassen und wir haben viel geredet, wenn wir uns trafen und auf ein paar Ausflüge haben sie mich auch eingeladen. Kurz vor Ende meiner Zeit dort hab ich mir die Hand gebrochen und wie selbstverständlich waren sie für mich da, haben mich umsorgt, mich ins Krankenhaus begleitet, meine Wäsche gemacht und mich bekocht. Mit Graham hab ich besonders viel Zeit verbracht. Er hat ein Atelier im Haus und malte dort immer. Er war schon in Rente. Wie oft hab ich auf dem Weg vom oder zum Zimmer dort angehalten, ihm über die Schulter gesehen und mich mit ihm festgequatscht. Und nun hat er mir einfach eine seiner Bilder geschenkt. Von der Wand genommen, eingepackt und mir mitgegeben. Eine Straße, die ihm im Urlaub in Frankreich gefallen hat. Wie süß kann man sein?!? Ich hab echt geweint, als ich mich verabschiedet habe. Aus Freude über die schöne Zeit, aus Dankbarkeit für all die lieben Worte, die sie für mich hatten, vor allem zu meiner Ausgrenzung aus meiner Familie, aus Scham, weil ich mich so viele Jahre nie getraut hatte, sie einfach mal anzurufen und einen Besuch hier nie zur Priorität gemacht habe, und naturlich aus Trauer darüber, dass ich nicht einfach mal eben wieder herkommen kann.
Und selbst dazu hatte Graham nur liebe Worte: „Das Wichtigste ist doch, dass du jetzt da bist.“ Und jetzt will ich die beiden nicht mehr aus den Augen verlieren.
Nach dem Besuch bei den beiden bin ich meinen Weg zur Uni spaziert. Ich konnte nicht anders. Und zum direkt ins Auto steigen war ich eh zu aufgewühlt. Die Queen‘s Road liegt auf einem der Berge und so hatte ich auf dem Weg zur Uni immer wieder schöne Blicke runter zum Plymouth Sound, der großen Bucht hier.
Am Ende hab ich viel zu spät im Barbican angefangen, nach einem Restaurant zum Abendessen zu suchen. Am Ende gab es einen Burger, der geschmacksneutral und trocken war. Meine Burger zuhause sind definitiv besser. Aber was soll’s. Heim bin ich dann direkt unten am Wasser entlang gefahren und hab mehrfach angehalten und bin ausgestiegen, um zu genießen, was man nachts vom Meer sehen und hören kann. Aber es war sehr windig und kalt, daher war das ein kurzes Vergnügen.
Ich hab lange gebraucht, um im Bett zur Ruhe zu finden.
Tausend Dank nochmal für die lieben Nachrichten, die ihr mir geschrieben habt!!! Und einen Anruf hab ich auch bekommen. Ich komme super alleine klar, aber wenn es richtig emotional wird, ist es so gut zu wissen, dass ich Freunde habe, die für mich da sind. Tausend Dank nochmal an jeden Einzelnen von euch, der sich einen Moment oder sogar noch mehr Zeit für mich genommen hat :-))) Ohne euch würde ich all das nicht schaffen!!!
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Wolf Ploog Sehr spannend, sehr interessant. Ein schöner Bericht. Vielen Dank und liebe Grüße. Wolf