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Seit meinem Abschiedsfest am 28.12.2014, wo ich mich von den meisten von euch verabschiedet habe, sind nun doch schon fast zwei Wochen vergangen. Für mich zwei intensive Wochen, ich habe das Gefühl ich bin schon lange weg. Zwei Wochen, in denen ich in eine völlig andere Welt eingetaucht bin.
Nach dem ich den Zügelstress hinter mich gebracht und nach einer Autofahrt mitten in der Nacht durch die zwar schöne verschneite Schweizer Landschaft, die auf der Autobahn hinter Schneepflügen und mit Zeitdruck jedoch halb so beeindruckend ist, habe ich am Flughafen in Genf schweren Herzens von meiner Familie Abschied genommen. Das Abenteuer ging los Richtung Madrid. Dort hatte ich einen fünfstündigen Aufenthalt am Flughafen, wo ich Aus- und wieder Einchecken musste. Die Reise begann gut, bis ich am Check In-Schalter für den Flug nach Santiago de Cuba stand. Eine ziemlich lange Schlange, die plötzlich unruhig wurde, als ein Mann auftauchte. Dieser teilte nämlich mit, dass unser Flugzeug noch in Cuba wäre, und unser Flug also mindestens 24 Stunden Verspätung hatte. Na toll! Nach der ersten Unruhe nahmen die Kubaner (es waren fast nur Kubaner in dieser Warteschlange) die Tatsache, dass wir nun eine Nacht in einem Hotel am Flughafen von Madrid inkl. Vollpension verbringen würden ziemlich locker. Was blieb auch anderes übrig? So erholte auch ich mich in erster Linie von den Strapazen der vorherigen Tage, holte den Schlaf der Nacht davor auf und genoss noch einige Stunden Internetzugang. Ich traf im Hotel auf eine nette Engländerin, und so wurde die Aufenthaltszeit in Madrid etwas kurzweiliger. Am nächsten Morgen weckte uns das Telefon und wir wurden im Hotel abgeholt. Die Abflugzeit änderte von da an, bis zum Abflug, mehrmals. Dass Cubana de Aviacion, die Airline mit der ich flog, oft mehrere Stunden, manchmal sogar Tage Verspätung hatte, wurde mir in der Zwischenzeit genügend erzählt. Nun gut, das Flugzeug war da, es konnte jetzt so richtig losgehen. Nach einem relativ ruhigen Flug mit jedoch holprigem Landeanflug in Santiago de Cuba, kamen wir am 31.12. genau um Mitternacht MEZ bei tosendem Applaus und Feliz Año Nuevo-Rufen in der Tierra caliente (heisse Erde) Santiago de Cuba an. Es war wirklich heiss hier. Am Flughafen wurde ich mit einer „Mariachi"-Band und Piña Colada empfangen J Es war nicht ganz leicht, mich auf diese Ankunftszeremonie einzulassen, zumal in der Zwischenzeit mein Chäreli mit Koffern fast entführt wurde.
So machten wir uns auf den Weg in mein neues Zuhause. Dies habe ich gefunden in einem grossen Haus mit fünf Schlafzimmern, einem schönen Innenhof, Wohnzimmer, Küche und Esszimmer im Zentrum von Santiago. Das Haus gehört Kenia, der Schwester von Kirenia, einer guten Freundin von mir in der Schweiz. Kenia wohnt in Frankreich, verbringt ca. 2 Monate pro Jahr hier in Cuba. Ihr Bruder Rey und seine Frau Lia, mit ihrem 15-jährigen Sohn William wohnen hier und haben eines der berühmten Casa Particular, eine Art Bed & Breakfast a lo cubano, wo Private Zimmer in ihrem Haus vermieten. Sie und ihre Freunde und Nachbarn, vor allem Shekil und seine Familie, haben mich sehr herzlich hier in Cuba aufgenommen und erleichtern mir das Dasein und Einleben enorm.
In meinem neuen Zuhause angekommen waren die Leute bereits versammelt zum Silvester feiern. Auf der Strasse wurde ein Spanferkel grilliert, für mich wurde ein Fisch gebraten. So ging man von einem Haus zum andern und wieder zurück, trank einen Cuba Libre oder ein Bier, schwang das Tanzbein und ging wieder weiter. Um Mitternacht gingen wir in den Parque Cespedes, wo bei einer Temperatur von 24° viele Einheimische und Touristen versammelt waren. Es spielte eine Band und die Stimmung war gut. Wir liessen um 12 Uhr die Korken des aus Madrid mitgebrachten Champagners knallen. Dann war aber meine Energie aufgebraucht und ich fiel todmüde ins Bett, während vor meiner Zimmertür das bunte Treiben noch bis in die Morgenstunden weiter ging. Erste tropische Nacht in Santiago de Cuba - selbst die Kubaner schlafen hier immer mindestens mit Ventilator, wenn möglich mit Klimaanlage an.
Am 1. Januar ging die Party weiter, es klingelte bereits früh morgens und dann den ganzen Tag durch immer wieder an der Haustür - mittlerweile weiss ich, dass dies einfach Alltag und normal ist - Leute kamen und gingen, es wurde gegessen, getrunken, getanzt. Heute kam auch ich zu meinem ersten Tanz in Cuba J Ich ging dann mit einigen an eine Abschiedsparty einer jungen Frau, die ein Visum für die USA erhalten hatte. Dort wurde eine Caldosa gekocht - eine Suppe, die stundenlang auf Feuer gekocht wird, mit Gemüse, Innereien und vielem anderen (manchmal ist es hier in Cuba besser, nicht alle Details zu kennen) drin. Nach mir endlos scheinendem Warten, in dem die doch etwas Partymüde Gruppe vor dem TV sass und in voller Lautstärke (bei uns läuft die Musik nicht mal in den Discos so laut) Youtube-Videos anschaute, wurde dann die Suppe serviert. Sie schmeckte sogar mir, Innereien hin oder her. Das Jetlag spürend ging ich nicht spät ins Bett, wieder wurde bei uns zu Hause die halbe Nacht noch gefeiert.
Nun, nach diesen beiden partyreichen Ankunftstagen kehrte bei den Kubanern doch etwas Alltag ein. Die Leute waren müde, ruhiger. Sie sagten, nun sei Partypause bis zum 6. Januar, Geburtstag von Rey. Trotzdem fand das Leben zwischen den Nachbarhäusern statt, es ist hier im Haus ein reges Kommen und Gehen, ein häufiges Zusammensitzen, wenn gekocht wird essen die mit, die gerade anwesend sind. Ich wurde nun mit dem kubanischen Alltag konfrontiert, der nicht immer einfach zu meistern ist. Eine Herausforderung ist beispielsweise das Einkaufen. Mein Bedürfnis nach (tropischen) Früchten war nicht ganz einfach zu stillen. Auf dem Markt gab es keine einzige Frucht, auch an den Strassenständen bei Gemüsehändlern waren keine Früchte zu haben. Es sei halt nicht Saison! Nun, dies ist eben auch Cuba. Über einige Umwege erfuhr ich von einem Händler, der Fruta Bomba (Papaya) im Angebot habe und ich stürzte mich natürlich darauf. Der Mangel an Gemüse und Früchten scheint gerade hier in Santiago ausgeprägter zu sein, da hier kaum was angepflanzt und geerntet wird. Auch die Suche nach WC-Papier gestaltete sich nicht als einfach, da es überall ausgegangen war. So ging ich von einem Laden zum nächsten und erhielt auf meine Frage immer eine negative Antwort. Auf der Strasse sah ich dann eine Frau mit WC-Papier unter dem Arm rumlaufen, und über Fragen kam auch ich so zum Laden, wo es noch welches hatte. Dies zwei Beispiele von mehreren, die ich in den letzten zwei Wochen erlebt habe. Eier und Gas zum kochen hat es zum jetzigen Zeitpunkt kaum in Santiago. Am ehesten kommt man über Beziehungen dazu, so wird man informiert, wenn etwas geliefert wird. So läuft das hier in Cuba. Alles über Beziehungen. Wenn man diese nicht hat, kommt man häufig nicht zu dem, was man sucht. Oder man steht stundenlang Schlange, so wie ich in der Bank. Zwei Stunden stand ich an, um drei Briefmarken, die ich für mein Studentenvisum brauchte, zu erhalten. Schlange stehen, auch dies ist in Cuba Alltag. Und so gehen die Tage ziemlich rasch vorbei, beim Erledigen simpler Dinge, die bei uns in Europa nur wenig Zeit beanspruchen. Der Alltag hier ist viel langsamer als bei uns in der Schweiz, die Kubaner haben viel mehr Zeit. Im Geist wird jedoch viel Schnelligkeit gefordert. Wer nicht schnell ist und reagiert, hat in Cuba verloren.
Schnelligkeit, eine unglaubliche Schnelligkeit ist auch beim Domino und Parchi (Eile mit Weile) spielen - dies sind sozusagen die kubanischen Nationalspiele , die mir in der Zwischenzeit auch schon beigebracht wurden - das A und O, wenn man nicht verlieren will. Die Spielrunden sind jeweils sehr angeregt, mit Zuschauern. Diese Woche habe ich den Kubanern nun das Dog spielen beigebracht, sie waren absolut begeistert und wollten kaum mehr aufhören. Ich gehe davon aus, dass es noch viele Dog-Abende geben wird hier.
Mein Studentenvisum, das in einem ersten Schritt bis Ende Juni gültig ist (Semesterende), werde ich voraussichtlich nächsten Montag erhalten. Da habe ich den Termin auf dem Migrationsamt. Ich habe mich nun an der Uni offiziell eingeschrieben. Betriebswirtschaft war im Angebot nicht zu haben. Sie könnten schon einen Privatlehrer organisieren, wenn ich dies wolle, meinte man dazu. Ich möchte jedoch (zur Zeit) keinen Privatunterricht, sondern auch Leute kennen lernen. So entschied ich mich für Tanz und war etwas überrascht (und enttäuscht), als die Dame mir mitteilte, dass der Unterricht jeden Dienstag um 9 Uhr stattfinde, gerade mal 2 - 4 Stunden pro Woche. Dies ist also ein Studium! Nun, am 20. Januar werde ich also mit dem Tanzkurs an der Uni beginnen. Ich konnte es natürlich nicht dabei belassen und habe mich nun doch noch in einer Tanzschule eingeschrieben. Am Montag startet der Kurs, 6 Stunden pro Woche, das Ganze kostet monatlich 5 SFr.! Studentenvisum sei Dank. Das Tanzen ist hier im Übrigen auch so ein Thema. Es läuft hier in Cuba eigentlich fast immer irgendwo Musik, sei es Reggaeton oder Salsa, Son oder Bachata. Die Kubaner halten im Alltag auch zwischendurch mal wieder inne, um ein Tänzchen zu schwingen und auch ich kam da auch schon in den Genuss. In Santiago könnte ich theoretisch jeden Abend irgendwo zu Livemusik tanzen gehen. In der Praxis ist dies jedoch nicht ganz so einfach. Wenn ich nämlich in (männlicher) Begleitung in den Ausgang gehe, werde ich von keinem anderen Mann zum Tanzen aufgefordert. Nun habe ich das Pech häufig mit Männern unterwegs zu sein, die nicht tanzen können (es aber immerhin nun lernen wollen und sich im selben Kurs wie ich eingeschreiben haben, bei den Anfängern). So komme ich nicht häufig zum Tanzen. Alleine weg gehen ist ziemlich mühsam, da sich die gineteros dann auf mich stürzen. So hoffe ich, vielleicht im Tanzkurs noch ein paar nette Leute zum gemeinsamen Weggehen kennen zu lernen.
Party, wozu hier in Cuba klar Alkohol gehört, ist hier häufig zu haben. Alkohol, der in riesigen Mengen konsumiert wird. Alkohol, der im Alltag der KubanerInnen omnipräsent ist. Häufig wird während dem arbeiten zu Hause, beim Zusammensein sowieso, ein Bier oder ein Glas Rum getrunken. Ich denke dabei häufig ans Eden…. Dies war auch am 6. Januar der Fall, am Geburtstag von Rey. Morgens ab 9 Uhr trudelten immer mehr Leute ein und es wurde gefeiert. Es wurde sehr viel Bier und Rum getrunken und als das Bier gegen Abend ausging, startete man einen Sammelaufruf. Alle werfen etwas Geld in die Mitte und mit dem was zusammenkommt geht jemand Biernachschub kaufen. Natürlich durfte auch heute die Caldosa nicht fehlen. Auch der Geburtstagskuchen war da, es wird gesungen und dann geht es schnell - und die Dekocreme der Torte wird dem Geburikind ins Gesicht geschmiert.
Alltag ist für mich hier in Cuba noch nicht eingekehrt. Ich habe noch viel zu lernen. Heute habe ich beispielsweise gelernt, wie man hier in Cuba wäscht. Nachdem einige Tage lang kein Wasser mehr geliefert wurde und die Sisterne fast leer war, kam heute das Wasser wieder und so war in der ganzen Nachbarschaft bei fast allen Waschtag angesagt. In Kuba haben die meisten halbautomatische Waschmaschinen. Dies heisst, die Maschine wäscht (mit kaltem Wasser natürlich, das für mehrere Waschgänge benützt wird, da es ansonsten zu viel Wasser und Waschmittel braucht), Frau spült die Wäsche, die Maschine schleudert sie. So verbrachten Lia und ich fast den ganzen Tag beim Waschen. Praktisch ist, dass die Wäsche innerhalb einer Stunde trocken ist und so genügend Platz zum Hängen vorhanden ist. Das Wetter ist nämlich seit meiner Ankunft heiss, es hat bis anhin keinen Tropfen geregnet. Tagsüber liegt die Temperatur immer über 30°, nachts zwischen 20° - 25°. Dies ist toll, für mich jedoch nach wie vor ziemlich ermüdend, wodurch ich nachmittags jeweils eine Siesta brauche J
Entschleunigen, Einleben, Kennenlernen, manchmal auch ein wenig Touristin sein, dies waren meine zwei letzten Woche hier in Cuba. Alltag ist nicht eingekehrt, und doch fühle mich hier in Cuba schon fast ein wenig zu Hause. Wenn ich durch die Strassen gehe fühlt es sich schon fast normal an, dass hier überall alte Oldtimer rumfahren, oder dass das Leben häufig im Hauseingang und auf der Strasse stattfindet. Die kolonialen Häuser fallen mir nicht mehr immer auf. An die Tatsache, dass ich im Alltag kein Whatsapp mehr habe, oder dass ich bei Unklarheiten nicht einfach google konsultieren kann, habe ich mich bereits gewöhnt. Und doch ist mir noch so vieles fremd. Und es gibt auch Dinge, mit denen ich Mühe habe. Zum Beispiel die Art und Weise der Abfallentsorgung - alles wird auf die Strasse geworfen, auch wenn Abfallkübel in der Nähe stehen. Zum Glück gibt es in Cuba noch nicht solche Unmengen an Materiellem und z.B. Verpackungsmaterial, Fast Food etc. Dies würde wohl zu einem riesigen Abfallproblem führen. Oder die sogenannte Gleichberechtigung, die ich in der Realität aber nirgends sehe. Oder die erschwerte Kommunikation mit der Schweiz mit den immer wieder nicht ankommenden SMS.
Bezüglich Kommunikation: am besten ist wohl, SMS auf meine Schweizer-Nummer zu schicken. Die Kubanische ist in der Zwischenzeit auch in Betrieb, und es kommen auch regelmässig SMS an. Ich gehe aber davon aus, dass es über die Schweizer-Nummer zuverlässiger ist. Ich werde (hoffentlich) demnächst auch eine Mail einrichten hier in Cuba, die ich auf dem Handy empfangen kann. Da warte ich jedoch noch auf die Beziehungen, da ich dies nicht selbst machen kann…
Nun ja, dies sind meine ersten Eindrücke und Erfahrungen hier in Cuba. Es geht mir soweit gut, aber ich denke viel an die Schweiz, an die Art und Weise wie ich dort lebe, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Ich vermisse viele Sachen, andere weniger. Vermissen tue ich jedoch euch alle, liebe Freunde, liebe Familie, die mir nah sind, die meine Art und Weise zu funktionieren verstehen. Ich hoffe, euch geht es allen gut und freue mich jeweils sehr, von euch zu hören.
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