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"Welcome to the free world, son!"
Ich werde wohl nie erfahren ob es mein Lachen nach dieser Aussage des Immigration Officers oder doch die hübsche Sammlung Stempel in meinem Pass war, welcher ich die 2h Befragung am Airport in Denver zu verdanken habe. Meinen Weiterflug erreichte ich trotzdem und so erreichte ich New Orleans wie geplant am 30.03.2011 kurz nach Mitternacht - meine Zeit in Süd- und Mittelamerika war nach 196 Tagen und 16 Ländern zu Ende.
New Orleans braucht kein Mardi Gras um eine anständige Party zu schmeissen; Feierabend reicht locker aus um die Strassen, Jazzbars und Strip-Clubs des French Quarters mit Leuten zu füllen. Doch obschon auch viele Locals jeden Abend diese Kreuzung zwischen dem Montreux Jazz Festival und dem Amsterdamer Rotlicht-Bezirk besuchen undzusammen mit den Touristen die Bartender auf Trab halten bemerkt man schon eine gewisse Resignation in der Stadt: Während zur Zeit Millionen von Dollar nach Japan geschickt werden kommt der Wiederaufbau in New Orleans einfach nicht in Gang und die Verschwendung der wenigen Mittel ist offensichtlich: Das French Quarter erstrahlte noch nie in solchem Glanz und auch Harrah's Casino gleich beim Fluss wurde totalrenoviert. Doch verlässt man Downtown New Orleans steht man plötzlich auf einer grossen Ebene voller Beton-Fundamente. Ganze Stadtviertel wurden von Kathrina sprichwörtlich dem Erdboden gleichgemacht und in anderen Vierteln sind mehr als 50% der Häuser unbewohnbar/einsturzgefährdet. Die wenigen erfolgreichen Projekte in diesen Gebieten sind dann bezeichnenderweise auch Eigeninitiativen von Selbsthilfegruppen. Doch auch die grössten Optimisten wissen, dass ein einzelnes Gemeindezentrum inmitten von leerstehenden Häusern langfristig nichts bringt. Und so sind sie stolz auf ihr neues Zentrum und resignieren dennoch. In der Jazz-Stadt New Orleans ist der Blues eingekehrt.
Mein Guesthouse lag in einem Aussenquartier knappe 4km vom French Quarter und Garden District entfernt direkt an der Canal St. Hinter dem Kolonialstil-Haupthaus versteckten sich noch ein paar kleinere Nebengebäude, einen gemütlichen Innenhof mit Tischen und Bänken - und eine Bühne! Auf der traten an zwei Abenden Brass Bands auf und nach dem Konzert begaben sich Zuhörer, Bandmitglieder und Hostel-Mitarbeiter gemeinsam noch ins French Quarter, zur Bourbon St und Frenchman St.
Dort erwartete uns eine Mischung von Montreux Jazz Festival und dem Rotlicht-Viertel von Amsterdam: Viele Jazzbars mit Live-Musik, Karaokebars und normale Clubs neben Strip-Clubs und dünn verschleierte Bordellen. Es hat zwar für jeden Geschmack etwas dabei, doch leider müssen die Traditions-Betriebe auch hier kämpfen; mit Ballermann-Musik und viel Alkohol lässt sich nun einfach mehr Geld verdienen als mit Jazz.
Nach 6 Tagen in New Orleans begann ich meine meine Reise mit AMTRAK's Sunset Limited, der letzten trans-kontinentalen Zugsverbindung der USA, von New Orleans nach Los Angeles. Diese 42-stündige Zugfahrt in den Sonnenuntergang begann kurz nach Mittag und führte uns zuerst durch die Industriebrachen und später die Sumpflandschaften Louisiannas westwärts. Kurz vor Sonnenuntergang fuhren wir über den Lake Charles und konnten mit dem letzten Rest Tageslicht gerade noch einen Blick auf die Weideflächen voller Longhorn-Rinder von Texas werfen. Am nächsten Morgen fuhren wir in unserem Superliner entlang der Grenze zu Mexiko und hatten vom Panoramadeck aus eine hervorragende Sicht auf den Rio Grande. Über den Lake Amistad hinweg fuhren wir dann in eine Welt, direkt aus einem Spaghetti-Western: Eine scheinbar endlose Wüste mit Kakteen, Dornbüschen, ausgetrockneten Flussbetten und darüber kreisen Geier und Adler. Wenn man dann noch einen halbverfallenen Bahnhof mitten im Nirgendwo sieht, komplett mit einer Telegrafenverbindung (3 Masten, danach nichts mehr) und einem Wasserturm für die Dampfloks, dann ist die Wildwest-Romantik schon fast perfekt. Bei einem Tankstopp in El Paso sahen wir vom oberen Deck den amerikanischen Grenzzaun und das Elend gleich dahinter: die US-Border Patrol hat die Grenze zu Mexiko in diesem Abschnitt mit genügend Stacheldraht und Überwachungstechnik ausgestattet um jedem Stasi-Offizier das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Nach einem blutroten Sonnenuntergang über der Wüste New Mexicos fuhren wir unter einem klaren Sternenhimmel weiter westwärts, nach Kalifornien.
Da ich nur kurze Zeit in Los Angeles verbringen wollte, entschied ich mich, mir das ganze Paket fuer ein anderes Mal aufzuheben und fuhr deshalb nach Hermosa Beach. Suedlich des Flughafens gelegen verbrachte ich dort ruhige Tage am Meer, genoss den Sonnenuntergang und ging mit ein paar Mitreisenden auf Autokauf fuer deren Roadtrip.
Nach 2 Tagen flog ich dann nach Oakland und traf meine Tante und meinen Onkel. Mit dem Onkel unternahm ich dann auch eine laengere Tour durch San Francisco und sah neben den wohlbekannten Touristenfallen auch einige Insider-Orte. Doch wie in Los Angeles sparte ich mir die Highlights fuer ein anderes Mal auf, denn bereits heute Abend verlasse ich die Amerikas und fliege nach Hongkong.
Von den letzten 209 Tagen verbrachte ich 698 Stunden in Bussen und Autos und legte dabei mehr als 19'000km zurueck. Dazu kommen noch 9'100km in Booten und Schiffen und 3'200km per Zug. Die Temperaturen pendelten zwischen -10 Grad und 45 Grad, die Hoehe zwischen -32m und 4900m. Ich besuchte 16 Laender, fuellte 14 Seiten mit Stempeln in meinem Pass und machte 142 neue Freunde auf Facebook.
Doch in wenigen Stunden zaehlt das alles nichts mehr. Denn dann fliege ich vom wilden Westen in den fernen Osten.
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