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Oh oh, der Ranger mahnt zum Rückzug. Ein massiger Seelöwenbulle hat uns entdeckt und kommt direkt auf uns zu. Kurz danach dreht er wieder um, suhlt sich im Sand und scheint zu schlafen. Nach ein paar Augenblicken wiederholt sich das Prozedere. Der Ranger kennt das schon. Anscheinend hat der Bulle noch nicht seine Lieblingsposition gefunden, ähnlich wie wenn wir uns nachts im Bett hin und her wälzen. Die Seelöwen sind gerade von einer dreitägigen Tour zurück auf der Suche nach Nahrung. Die Bullen entfernen sich auf dieser Reise bis zu 100 km von ihrem Brutplatz, die weiblichen Seelöwen immerhin bis zu 75 km. Entsprechend müde sind sie, wenn sie wieder zurückkommen. Unser Ranger meint, es ist in etwa so, als hätten wir drei Tage durchgefeiert und mächtig Alkohol konsumiert. Nach ihrer Futtertour haben die Seelöwen ein ähnliches Ruhebedürfnis wie jemand mit entsprechendem Hangover.
Ich bin inzwischen in Adelaide angekommen und habe eine zweitägige Tour nach Kangaroo Island gebucht. Die Seal Bay auf Kangaroo Island, Teil eines National Parks, beherbergt die drittgrößte Seeloewenkolonie von Australien und zählt ca. 1000 Seelöwen. Zusammen mit dem Ranger können wir bis an den Strand und die Seelöwen aus sicherer Entfernung und doch irgendwie ganz nah dran beobachten. Die Jungtiere spielen und toben in der Brandung. Die Eltern lassen sie während der Futtertour allein zurück. Falls das Jungtier noch auf Muttermilch angewiesen ist und die Mutter aus irgendeinem Grund nicht zurückkehrt, muss das Jungtier oft leider auch sterben. Die anderen Seeloewenmamis können nur zu einem gewissen Teil den Ammenpart übernehmen, daher kann das Jungtier dann häufig nicht gerettet werden. Die geführte Tour im National Park ist definitiv eins meiner Highlights auf Kangaroo Island.
Eigentlich hatte ich die Tour vor allem gebucht, weil ich dachte ich würde hier jede Menge Kängurus sehen. Na ja, ein paar Kängurus habe ich auch tatsächlich gesehen, aber nicht in der Menge, die ich erwartet habe. Auf kanagroo Island gibt es eine spezielle Känguruart– Das Kangaroo Island Känguru. Die Australier sind unglaublich kreativ mit Namen, wie man sieht. Als wir auf der Great Ocean Road die Grenze von Victoria zu South Australia überquert hatten, hiess der nächste Ort einfach Bordertown. Ähnlich kreative Namen begegnen mir immer wieder. So gibt es 145 km nördlich von Adelaide eine Stadt namens Snowtown. Geschneit hat es hier noch nie, jedoch haben in dem Ort zum Zeitpunkt der Namensgebung ungewöhnlich viel Leute mit dem Nachnamen ‚Snow‘ gewohnt.
Abgesehen von der Seal Bay und dem Kangaroo Island Känguru hat Kangaroo Island aber noch sehr viel mehr zu bieten, so dass die fehlende gesichtete Anzahl Kängurus schnell wieder wett gemacht ist. Wir sehen einsame, wunderschöne Strände und Buchten, eine Emufarm, eine Honeyfarm, machen sandboarding, bewundern die remarkable rocks und vieles mehr. Die remarkable rocks faszinieren mich total und ich fühle mich mal wieder bestätigt, dass die schönste Kunst immer noch die Natur selbst hervorbringt.
Kurz vor Ende der Tour entdecken wir noch ein Echidna und schätzen uns unglaublich glücklich, da es sehr schwer ist diese scheuen Tiere zu finden.
Wieder zurück in Adelaide möchte ich unbedingt noch eine Weintour ins Barossa Valley machen. Es gibt dort ein Weingut, von dem wir zu Hause auch ganz gern mal einen Wein trinken. Meine Wahl der Touranbieter verläuft nach dem Ausschlussprinzip. Die Backpackertour, auf der ich auch mindestens eine andere Mitreisende schon von meinem Kangaroo Island Ausflug gekannt hätte, fiel direkt raus, da ich von einem Mitreisenden, mit dem ich zusammen auf der Great Ocean Road Tour war, wusste, dass über 30 Weine probiert werden. Das ist mir definitiv zu viel Alkohol. Ich will mich ja nicht betrinken, sondern eigentlich nur mal bei Jacob’s Creek auf dem Weingut vorbeischauen. Nicht alle Touren steuern dieses Weingut an oder fahren an für mich günstigen Tagen. Daher fällt meine Wahl am Ende auf eine Tour, die nur 2 Weingüter anfährt und man den Nachmittag zur freien Verfügung in Hahndorf, der ältesten noch existierenden deutschen Siedlung Australiens, hat. Das finde ich spannend. Der Tag fängt allerdings für mich total falsch an. Wir sind am Vortag erst gegen 22:30 vom Kangaroo Island zurück gekommen und natürlich konnte ich nicht sofort schlafen. Hinzukommt, dass ich mit einem der Mädels von der Tour allein im 4 Bett Zimmer bin, so dass wir noch ein bisschen gequatscht haben. Am Morgen bin ich mit Kopfschmerzen aufgewacht – optimal für eine Weintour. Ich überlege, ob ich am Vortag genug getrunken habe - vermutlich nicht, daher trinke ich fast einen Liter Wasser bevor ich mich kurz darauf zum Treffpunkt begebe. Ich bin heute wirklich ziemlich verpeilt, froh es rechtzeitig zum Treffpunkt geschafft zu haben, fällt mir erst als ich in den Bus steige auf, dass ich vergessen habe zu frühstücken. Wer mich kennt, weiss, dass ich gern morgens ohne Frühstück loslaufe. Es ist also nichts besonderes, aber Alkohol auf nüchternen Magen ist ganz übel. Im Bus habe ich aber erstmal ein anderes Problem. Wir machen wieder erwarten keinen Toilettenstopp unterwegs und so wird die fast zweistündige Fahrt recht ungemütlich für mich. Der Stopp am Weingut ist mal wieder minutiös getimed und viel Zeit nach der Weinprobe bleibt nicht. Die Weine waren nicht ganz mein Geschmack. Vielleicht wäre mein Urteil positiver ausgefallen, wenn ich sie nicht zum Frühstück sondern erst nach dem Mittagessen serviert bekommen hätte. Das zweite Weingut ist relativ unspektakulär und nach dem ganzen Wein (immerhin nur 10 verschiedene in total) freue ich mich aufs Mittagessen. Danach geht es mir etwas besser. Ein Grossteil der Gruppe ist bereits im Rentenalter und die Gruppe besteht neben zwei Chinesinnen und drei Neuseeländerinnen nur aus Australiern und mir als einziger Europäerin. Ich habe es daher einfach und komme mit allen schnell ins Gespräch. Das Interesse scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. In Hahndorf schaue ich mich dann aber doch lieber allein um. Schon wieder halb auf dem Rückweg zum Bus entdecke ich eine deutsche Flagge an einem Laden, der laut Aushängeschild typisch deutsche Produkte vertreiben soll. Neugierig trete ich ein und unterdrücke nur Sekunden später mühsam einen aufsteigenden Lachanfall. Der ganze Laden wimmelt von Klischees. Schon an der Tür hingen Schürzen mit Halbnackten Kerlen in Lederhosen und im Laden selbst dominieren neben anderem Nippes die Kuckucksuhren. Die Musik erinnert mich an Oktoberfest zu fortgeschrittener Stunde. Das ist also das, was man in Australien unter Deutschland versteht. Interessant und irgendwie auch erschreckend! Mit einem Schmunzeln wende ich mich an die Verkäuferin und frage sie auf englisch, ob sie diese, ähh, Musik den ganzen Tag hören müsse. Sie antwortet mir direkt auf deutsch. Auf Nachfrage erfahre ich, dass meine Kleidung und mein Verhalten mich beim Betreten des Ladens sofort verraten hätten. Das war dann wohl wirklich typisch deutsch. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie vor 35 Jahren von Deutschland nach Australien ausgewandert ist, aber furchtbar Heimweh nach Deutschland hat und deshalb jedes Jahr mindestens 3 Monate in Deutschland verbringt. Deshalb wohne sie auch in Hahndorf um wenigstens ein bisschen Heimatgefühl zu haben. Ob sie dann nicht wieder ganz nach Deutschland zurückziehen wolle, frage ich sie. ‚Bloss nicht!‘ sagt sie. ‚viel zu gefährlich dort!!‘
Aha, denke ich, interessant, in Deutschland hat man es mir andersrum verkauft, also mal wieder alles eine Frage der Perspektive. Die Auswahl im Laden findet sie auch etwas zu klischeehaft, aber ihr Chef will nix anderes und die Asiaten kaufen die Kuckucksuhren wie warme Semmeln.
Auf dem Weg zurück zum Bus überlege ich mir, was ich denn nun eigentlich von diesem Ort halte. Besonders deutsch fand ich ihn nicht. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass ich diese Frage auch von meiner Gruppe gestellt bekomme, schliesslich bin ich die einzige Europäerin und dann auch noch deutsch. So kommt es dann prompt natürlich auch. Alle sind neugierig, wie meine Meinung ist. Das einzige, was ich wirklich deutsch fand, war das Wetter - grau, leicht nieselig, kalt. Dadurch dass in Hahndorf viele europäische Bäume wachsen, die im Herbst/Winter entsprechend ihre Blätter verlieren, hat es sich zum ersten Mal, seit ich meine Reise begonnen habe, auch wirklich wie Winter angefühlt, wie Winter in Deutschland – kalt und trist.
Kaum sind wir 10 Minuten aus dem Ort herausgefahren, ist wieder alles grün, die Sonne scheint und der Himmel ist strahlend blau. Winter in Australien gefällt mir eindeutig besser.
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