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Für die Woche in Rio de Janeiro haben wir uns wieder eine private Wohnung gemietet - sie liegt zwischen Copacabana und Ipanema, nicht weit vom berühmten Strand. Was wir nicht wussten ist, dass gleich hinter unserer Wohnstraße eine Favela beginnt. Als wir das realisiert haben, hat das doch etwas Unbehagen ausgelöst - mit all den Horrorgeschichten, die man so in den Medien findet. Von unserem Fenster aus, sieht man genau auf die Stiege, die hinauf zu dieser Favela führt. Wir haben immer wieder die Leute beobachtet und uns gewundert, dass es ganz 'normale' Menschen sind, die anscheinend dort wohnen...nach der Favela-Tour wissen wir auch warum.
80% der working class people wohnen in Favelas, das heißt, der Taxifahrer, der uns vom Flughafen abgeholt hat, die Verkäuferin, die uns im Supermarkt bedient, die Putzfrau, die unsere Wohnung putzt, leben mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Favela. 1,8 Mio. Cariocas (Bewohner Rios) wohnen in insgesamt 950 Favelas in Rio. Der brasilianischen Wirtschaft geht es im Moment sehr gut (World Cup 2014, Olympics 2016) und die Arbeitslosenrate ist sehr niedrig, auch in den Favelas (5-6%). Jene, die hier offiziell als arbeitslos gelten, sind dann meist am Schwarzmarkt tätig.
Viele der Bewohner leben schon seit Generationen hier, kamen meist aus einer anderen Region Brasiliens nach Rio, um hier Arbeit zu finden, konnten sich keine Wohnung leisten und siedelten sich an unbewohnten Hügeln an (zunächst illegal, aber es wurde geduldet), bauten sich dort ihr Haus (man sieht heute keine Blech- oder Holzhütten mehr, nur mehr Ziegelbauten) und wohnen mittlerweile legal dort. Früher hat die Regierung das Problem 'Favelas' ignoriert, man hat so getan, als würde es die Bewohner dort nicht geben. Sie schienen (und scheinen auch heute teilweise) in keiner Karte auf - sie hatten daher auch keine Adresse und konnten ihre Post nicht bekommen (es gab/gibt eine Art Sammelbriefkasten, wo sich jeder seine Post rausnahm/rausnimmt). Ohne richtige Wohnadresse ist es natürlich auch schwieriger, eine Arbeit zu finden...
Das hört sich jetzt alles eher positiv an, als ob es keine Probleme in den Favelas geben würde, doch die gibt es mehr als genug. Der Grund, warum Favelas immer wieder in den Schlagzeilen zu finden sind, sind die Drogenkriege unter den diversen Banden, die die Favelas kontrollieren. Rocinha, die älteste und größte Favela in Brasilien (ca. 250.000 Einwohner, eine Stadt in der Stadt) und die wir auch besucht haben, wurde 2011 wieder unter Polizeikontrolle gebracht (die Maschinengewehre tragen jetzt die Polizisten, großer Unterschied: jetzt herrscht hier nicht Diktatur, sondern Demokratie). Mittlerweile werden nur mehr 4% der Favelas in Brasilien von Drogenbanden kontrolliert. Der Prozess der Säuberung wird aber noch Jahre dauern.
In vielen Favelas herrschen katastrophale hygienische Zustände, kein Abwassersystem, keine Sanitäranlagen, keine Müllabfuhr...viele Krankheiten (z.B. Tuberkulose). Dort wo der Staat nicht vor Ort ist, gibt es keine öffentlichen Einrichtungen wie Spitäler, Schulen... Auch Platzmangel ist ein großes Problem - die Menschen leben hier auf engstem Raum, ohne jegliche Privatsphäre.
Die zweite Favela, Vila Canoas, die wir auf unserer Tour besichtigt haben, ist ein 'modernes' Beispiel für eine Favela. Es ist eine kleine Community, die von einem reichen Industriellen finanziell unterstützt wird. Hier sieht man gut, dass es auch anders geht: es gibt Dinge wie Müllabfuhr, Kanal, Schulen, Spitäler, Straßennamen, Hausnummern...
Bei einem Spaziergang durch eine Favela sieht man meist nur hässliche, schäbige Häuser - es schaut oft ziemlich chaotisch aus. Uns wurde erklärt, dass das Äußere für die Menschen nicht wichtig ist, man investiert lieber in die Inneneinrichtung: da gibt es dann sehr wohl Dinge wie LCD-Fernseher, Ledercouch...
Wir sind sehr froh, dass wir diese Favela-Tour gemacht haben, da das eigene Bild doch etwas zurechtgerückt wurde und man Einblicke in eine Welt bekommt, die man als Tourist alleine (trotzdem!!) nicht besuchen sollte.
Living in a favela is an art
Nobody robs
Nobody hears
Nothing is lost
And those who are wise
Obey those who give orders.
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